Karl Marx wurde 200 -

Eine Feier am 5. Mai 2018 im Perinetkeller in Wien


Depperte 0-Euro_Scheine

Dazu gab ich den launigen Kommentar zum Besten: -

Depperte Null-Euro-Scheine

Karl Marx‘ Geburtsstadt Trier hat zu seinem 200. Geburtstag lustige Geldscheine drucken lassen, Null-Euro-Scheine mit seinem Konterfei.

Marx, wenn er das wüsste, er würde sich nicht nur mürrisch im Grab umdrehen, nein, wie sonst nur eine Uma Thurmann würde er die Fäuste ballen, den Sarg sprengen, sich ans Tageslicht graben, den Ärmelkanal über- oder unterqueren und sich nach Trier begeben und den verantwortlichen Leuten diese depperten Null-Euro-Scheine in den Rachen stopfen und keine Ruhe geben, bis sie sie bis zum letzten Stück aufgegessen hätten. Er konnte, wie man weiß, recht ruppig sein.

Die Null-Euro-Scheine bedeuten ja nicht, dass man Marx zu Ehren dort jetzt gratis beherbergt und verköstigt würde. Nein, im Gegenteil wurden die depperten Null-Euro-Scheine von der Tourismuszentrale in Umlauf gebracht, um Besucher zu den Gedenkveranstaltungen nach Trier zu locken, auf dass sie das andere, das echte Geld, ihre Nicht-Null-Euro-Scheine dorthin bringen mögen.

Damit soll jetzt nicht diese Grundunehrlichkeit und Heuchelei moralisch angeprangert werden. Das wäre ganz unmarxistisch. Nein, marxistisch denken heißt materialistisch denken, und da könnte man jetzt zum Beispiel auch auf den Widerspruch hinweisen, dass die Null-Euro-Scheine auf Ebay mittlerweile nicht zu 0 Euro, sondern zu etwa 3 Euro gehandelt werden, und wenn man Marx gelesen hat, wird man auch aufdröseln können, wie es zu dem Marktwert von 3 Euro für so einen depperten Null-Euro-Schein kommt.

Wenn man nur Wirtschaftswissenschafter aus der liberalen Schule ist und Marx nicht gelesen hat, wird man das vielleicht mit der Lehrmeinung beantworten, dieser Preis werde bestimmt durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Falsch! sagt da Karl Marx. Beziehungsweise irreführend, weil unvollständig. Und seine Analysen der Markt- und Warengesetze sind nun eben für die Ökonomie ebenso grundlegend wie ein Darwin für die Biologie oder ein Newton oder Einstein für die Physik.

Und das geht in etwa so: Der Marktwert, zum Beispiel auch so eines depperten Null-Euro-Scheins, konstituiert sich durch die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit, die zu seiner Produktion erforderlich ist, also bei der Grafikerstellung, der Produktion des Papiers und der Druckfarben, des Transports der Rohstoffe in die Druckerei, des eigentlichen Druckvorgangs, der Distribution der fertigen Scheine, und so weiter. Dieser Gesamtarbeitsaufwand lässt sich durch die Anzahl aller Scheine teilen, und dann hat man die Arbeitszeit, die in jedem einzelnen Schein steckt, und das ist der Marktwert, welcher sich auch ausdrücken lässt als Geldwert, weil Geld nämlich nichts anderes ist als die gesellschaftliche Übereinkunft, dass eine bestimmte Menge davon eine bestimmte Menge geleisteter Arbeit repräsentiert. Und so wird man dann also ausrechnen können, dass in jedem dieser depperten Null-Euro-Scheine soundsoviel Arbeitszeit steckt, und in Geld umgerechnet kommt man dann wahrscheinlich auf etwa 10 Cent, oder lass es 50 sein, was so ein depperter Schein wert ist. Und erst danach! kommt das Gesetz von Angebot und Nachfrage ins Spiel, und verschiebt den Basismarktwert nach oben, wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, und umgekehrt. Und das ist wichtig! So stringent wissenschaftlich erklärt uns Marx die Wirtschaft und die Welt.

Wie kommen wir jetzt aber von den 10 oder 50 Eurocent Arbeitszeit, die in solch einem Null-Euro-Schein steckt, zum momentanen Marktwert von circa 3 Euro auf Ebay? Die Antwort lautet: Es gibt da Sammler. Sie schaffen eine Nachfrage nach dem begrenzten Angebot der einmalig ausgegebenen Scheine und treiben den Preis nach oben. Auf Ebay sehen wir, dass manche jegliches Fake-Geld sammeln, und manche sammeln auch nur speziell Null-Euro-Scheine. Es sind nämlich immer wieder mal von den diversesten Institutionen und Firmen, und zu verschiedenen Anlässen und meist zu Werbezwecken scheinbar lustige, aber marxistisch betrachtet depperte Null-Euro-Scheine herausgebracht worden.

Was sind das nur für Leute, diese Sammler von Null-Euro-Scheinen? Etwas zu sammeln, was dezidiert nichts wert ist, könnte man noch schön kurios und sympathisch finden. (Ein Briefmarkensammler sammelt ja ebenfalls ent-wert-ete Postwertzeichen.) Aber sie haben wohl auch eine romantische Ader. Sie könnten vermutlich auch der Idee etwas abgewinnen, die Welt wäre besser, wenn man das Geld abschaffen würde.

Im Geld drückt sich der Unterschied von Arm und Reich aus. Genauer gesagt: die Klassenzugehörigkeit. Der Eine hat gar keines oder fast keines – wenn wir uns auf der Welt umschauen. Der Nächste hat welches, aber immer zu wenig, und nichts zu verkaufen außer seine Ketten. Nein, seine Arbeitskraft, muss es natürlich heißen. Der Dritte hat soviel davon, dass er es arbeiten lassen kann, andere damit für sich arbeiten lassen kann, und dem seines wird stetig mehr, während unsereinem das Geld scheinbar immer weniger wird – Inflation, kalte Progression, huh, huh! –, wenn nämlich tatsächlich die Produktivität ansteigt, wir Armen es aber nicht schaffen, uns unseren Anteil am Produktivitätszuwachs zu erkämpfen und zu sichern. Und was derartige Phänomene noch mehr sind. Wenn man Marx nicht gelesen oder nicht verstanden hat, kann man schon leicht auf die Idee verfallen, die Welt wäre besser, wenn man das Geld abschaffen würde. Nichts lesen, nichts verstehen, und die Symptome zur Ursache verklären, und sich dabei auch noch sehr idealistisch fühlen, und zwar ganz zu Recht. Ein kurzer Ausflug in den philosophischen Marx: Die Idealisten sollen scheißen gehen!

Zurück zum ökonomischen Marx: Würde man das Geld abschaffen, wie es zum Beispiel auch die Kommunistische Partei Chinas in einem romantischen Anflug einmal probiert hat – es würde immer wieder neu erfunden. Im Verkehr und Austausch zwischen den Menschen. Und auch, wenn man ernsthaft über die Gesellschaft, über die Zukunft, über eine bessere Welt nachdenkt (und das wird ja wohl noch erlaubt sein!), dann wird man den Reichtum auf der Welt mitbedenken und wieviel man dazu täglich oder in einem Leben arbeiten muss. Aktuell in den Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen, oder über die elektronische Revolution, die uns noch viel Arbeit ersparen wird in der Zukunft, geht es um Arbeit, die sich in Werten manifestiert, und wie diese Werte verteilt werden. Und ganz wurscht, ob man das Arbeitszeitkonto nennt, oder Grundeinkommen, oder Verteilungsgerechtigkeit, oder soziale Absicherung zur Verhinderung von Hungerrevolten – die sachliche Berechnungsgrundlage ist auf die eine oder andere Weise: Geronnene Arbeit, symbolisiert durch Geld.

Mit zwei kurzen Geschichten möchte ich noch verdeutlichen, warum es unsinnig ist, das Geld abschaffen zu wollen.

Im Archäologiemuseum von Constanƫa, in Rumänien, am Schwarzen Meer, gibt es ein ganz besonderes Exponat aus der Frühzeit der Menschheit, als es noch kein Geld gab. Es handelt sich um einen Lederbeutel, nach so langer Zeit nur noch vorhanden als ein paar dürftige Fasern, und in dem Beutel befanden sich 20 oder 30 vorproduzierte, einheitliche, nämlich in einer Form gegossene bronzene Pfeilspitzen. Da wurde also etwas auf Vorrat produziert, und man darf eine Tragödie vermuten, denn der Schatz ging verloren.

Weil er vor Feinden versteckt wurde, und der Verwalter des Schatzes konnte ihn nicht mehr bergen? Das wäre die bellizistische Deutung. Aber vielleicht war er auch auf Forschungsreise, wollte Rohstoffe und Güter und Technologien austauschen.

Die Bronzezeit heißt nicht nur dort Bronzezeit, wo es Kupfer gab und Bronze hergestellt wurde. Bronze aus Südosteuropa, das weiß man heute, wurde schon zur Bronzezeit nach ganz Europa gebracht, und in weite Teile Asiens und Afrikas, ebenso wie zum Beispiel Salz aus Hallstatt, oder Bernstein von der Ostsee. Vielleicht war der Träger des Lederbeutels mit den Pfeilspitzen also als Rohstofftransporteur unterwegs, und er hatte einen Unfall, oder wurde das Opfer von wilden Tieren, oder er hat ihn schlicht verloren. Jedenfalls könnte man sich leicht auch die Win-Win-Situation vorstellen, dass er die Donau hinaufwandern wollte, und wenn er einen fremden Stamm getroffen hätte, hätte er gestikuliert: Schaut, was wir bei uns haben! Ich gebe Euch ein paar davon, und Ihr sagt mir, was Ihr hier so habt, und lasst mich bei Euch wohnen. Und die Fremden könnten die Pfeilspitzen dann als solche verwenden, oder als Rohstoff und sie zu Schmuck umschmelzen, oder einen Teil ihrerseits wieder eintauschen.

Haltbar, nicht unbegrenzt vorhanden wie Sand am Meer, genormt, vorratsfähig, leicht zu transportieren – der Mann (oder die Frau) hatte das Missing Link, unmittelbar vor der Erfindung des Geldes, in seinem (oder ihrem) Beutel. In anderen Weltgegenden wurden zum Beispiel Kaurimuscheln zum allgemeinen Tauschäquivalent. Die Menschen werden, weil es einfach praktisch ist, das Geld, wenn es keines gibt, immer wieder neu erfinden.

Die zweite Geschichte, zum Abschluss, ist eine hypothetische. Nehmen wir an, ich würde demnächst Vater von Fünflingen. Die Kindersitze und ein größerer Esstisch wurden schon angeschafft. Der alte, kleinere steht jetzt im Weg. Was mach ich jetzt mit dem alten Esstisch? Mein erster Gedanke – ich bin ja Menschenfreund – ist: ihn verschenken. Meine Freunde und Bekannten sind aber alle versorgt und können keinen Esstisch brauchen.

Dann tu ich halt, denke ich mir, einem armen Menschen etwas Gutes. Ich gehe zum Bettler meines Vertrauens. Der Mann ist aber ein ganz verbohrter Anhänger des Geldsystems und will meinen Tisch partout nicht haben. Ich probier’s in der U-Bahn-Station. Vielleicht kann ich beim Augustin-Verkäufer den Tisch gegen eines seiner Hefte tauschen. Der würde aber ebenfalls, sagt er, eine abstrakte Menge geronnener Arbeit vorziehen, die er eintauschen kann gegen was es ihm beliebt. Vielleicht kann ich ihm, denke ich mir da, mehr entsprechen, wenn ich – ich bin ja auch selbst immer am Herumknappsen – den überschüssigen Tisch zu Geld mache?

Und ich fahre damit zum Flohmarkt am Naschmarkt. Und dort geschieht ein Wunder; nein, eigentlich zwei. Erstens gibt es dort nicht nur Leute, die wie ich etwas losschlagen möchten, und ich muss mir jetzt mühsam jemanden suchen, dessen Ware ich im Tausch für meinen Tisch vielleicht brauchen kann. Nein, das Geld wurde zum Glück nicht abgeschafft. Es gibt dort Leute mit Geld. Mein Augustinverkäufer wird sich freuen.

Und das zweite Wunder: Obwohl der Interessent möglichst wenig zahlen will und ich will möglichst viel bekommen für den Tisch, treffen wir uns nicht in der Mitte zwischen 0 und unendlich viel, sondern bei einem ganz bestimmten Betrag.

Und wie der zustande kommt, kann man bei Marx erfahren, und noch vieles mehr, was einen großen Einfluss ausübt auf unser Leben in der Welt, wie sie heute ist.

Macht Euch ein paar schöne Stunden! Lest Karl Marx! Und enden möchte ich mit dem frei erfundenen Karl-Marx-Zitat: Wer kein Geld mag, der ist doof.

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