Loblied auf die goldene Ananas


Goldene Ananas


Testspiele, reine Freundschaftsspiele, Abschiedsgalaspiele oder auch prominent besetzte Benefizmatches haben oft ihren besonderen Reiz. Wenn es außer um ein bisschen Prestige oder um ein paar Empfehlungen beim Trainer für höhere Aufgaben nicht um viel (Geld) geht, wenn die Spieler in einer Weise an die Aufgabe herangehen, dass es auch eine hohe Priorität ist, sich nicht selbst oder die Gegner zu verletzen, entwickeln sich oft sehenswerte Matches mit zahlreichen Gustostückerln. Der Ball kann laufen. Spielwitz und Spielfreude sind zu spüren. Nicht jede halbwegs gefährliche Offensivaktion wird gleich durch ein taktisches Foul unterbunden und dann lässig achselzuckend die Gelbe Karte akzeptiert. Im alltäglichen Spielbetrieb wird ja jeder Defensivspieler diese taktischen Fouls sogar machen müssen, wenn er nicht sehr schnell seinen Platz in der Mannschaft verlieren und durch einen „entschlosseneren“ und „robusteren“ Konkurrenten ersetzt werden will.

Diese taktischen Fouls zur Unterbindung schneller gegnerischer Offensivaktionen wären vielleicht gerade noch zu akzeptieren. Wenn es dabei bliebe. Aber in wichtigen Spielen - und fast jedes Spiel ist heute wichtig - geschieht es nur allzu oft, dass darüber hinaus von der ersten Minute an dem spielerisch besseren Gegner bei jeder Gelegenheit mit hartem Einsteigen die Schneid abgekauft und die mangelnde Aufmerksamkeit oder auch Toleranz des Schiedsrichters demgegenüber permanent ausgetestet, ausgereizt und ausgeweitet werden. Die WM, die nun morgen zu Ende geht, hat diesen Trend oft, sehr oft erkennen lassen. Die Schiris haben kaum einmal den Spielwitz vor der rein destruktiven Kampfkraft und Härte genügend in Schutz genommen. Es ist schon fast ein Wunder, dass es bei dem Turnier nicht mehr schwer Verletzte gegeben hat.

Oft schien es, als hätten die Schiedsrichter den Trend zum Kampf gezielt befördert. Fast, als gehe es der FIFA jetzt, nach der Überwindung der gröbsten anfänglichen Unzulänglichkeiten im Frauenfußball darum, zwei möglichst eigenständige Marken und Sportarten zu entwickeln: Einen gladiatorenmäßigen Männerfußball auf der einen Seite und einen inzwischen auch technisch und taktisch sehr versierten Frauenfußball, der dazu auch noch „schön anzusehen“ ist, auf der anderen.

Ich bin mir bewusst, dass ich mich mit solchen Überlegungen auf ein heikles Terrain begebe. Der Strick, ich hätte gesagt, Frauen könnten nicht kämpfen, könnte mir zum Beispiel daraus gedreht werden, und noch so diverse andere Stricke. Ich könnte nun vorsorglich entgegnen, dass ich das nicht hätte sagen wollen, und dass ich auch schon Frauenfußball gesehen habe, der sehr kampfbetont gewesen war. Oder ich könnte auf den physiologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen herumreiten, die dafür sorgen werden, dass zum Beispiel männliche Spitzenmarathonläufer bis auf weiteres auch weiterhin erst einmal 20 oder 30 Minuten eher ins Ziel einlaufen dürften als die Kolleginnen an der Frauenspitze. Aber darum geht es nicht. Der Ausgangspunkt der Überlegungen waren Fußballspiele, von Männern oder Frauen, ganz egal, die kreativ und mit Spielfreude und Spielwitz geführt werden und nicht sich auf die Frage zuspitzen, welches Team nun geschickter versteckt foulen, den gegnerischen Spielmacher „aus dem Spiel nehmen“ oder mit geschundenen Elfmetern zum Erfolg kommen wird. Schön anzuschauende Fußballspiele. Die es bei den Männern leider allzu oft nur noch dann zu sehen gibt, wenn es nicht (mehr) um allzu viel geht. Während beim Frauenfußball diese Unsitten meines Erachtens, aus welchen Gründen auch immer, bei weitem nicht so überhand genommen haben.

Aber kommen wir zur Goldenen Ananas. Das ungeliebte Kleine Finale. Das Spiel um Platz 3. Oft, sehr oft waren das schon äußerst ansehnliche Spiele. Alle Akteure eint die große Enttäuschung, im Halbfinale verloren zu haben. Der große Traum wurde nicht erreicht. Am liebsten wollen sie dann immer gleich abreisen und in den wohl verdienten und bitter nötigen Urlaub fahren. Und dann müssen sie doch noch einmal ran.

Ganz typisch waren wieder die Äußerungen der Holländer, wie sie nach der Niederlage im Halbfinale publik geworden waren. Der Trainer Van Gaal forderte mal wieder die gänzliche Abschaffung des Spiels um Platz 3. Arjen Robben schimpfte: „Der dritte Platz kann mir gestohlen bleiben.“ Und ebenso typisch wird dann aber auch regelmäßig die Korrektur vorgenommen. Plötzlich will man dann doch den enttäuschten Fans noch eine gute Vorstellung zum Abschluss bieten. Plötzlich schwant es den Beteiligten dann immer doch noch, dass es sich, aus einigem zeitlichen Abstand betrachtet, in den Annalen schon noch schöner ausmacht, wenn man da als Dritter aufscheint, denn als Vierter. Und dass es auch gleich für die Zeit nach dem Turnier einen Unterschied macht. Wieder ist da eine Äußerung Van Gaals beinahe schon archetypisch. Da wurde ihm auf der betreffenden Pressekonferenz laut denkend plötzlich bewusst, dass dieses Spiel zu verlieren heißen würde, dass man dann unversehens mit zwar fünf gewonnenen, aber auch zwei verlorenen Matches mit einer Turnierbilanz dastände, die die sehr guten Leistungen seines Teams nur wenig adäquat und glanzvoll wiederspiegeln würde. Und anschließend beklagte er sich sogleich noch über die Unsportlichkeit im Terminplan, die den Brasilianern vor der Partie, die er am Tag zuvor am liebsten noch komplett gecancelt hätte, einen Tag mehr Pause geben würde zur Regeneration und Zeit zur Vorbereitung. So ist es fast immer. In Südafrika vor vier Jahren hatte der deutsche Trainer Jogi Löw nach dem verlorenen Halbfinale in der ersten Entäuschung sogar von dem bitteren „Ausscheiden aus dem Turnier“ geredet. Und einen Tag darauf war ihm offenbar gesteckt geworden, dass es da sehr wohl noch ein Spiel zu absolvieren gab, und er appellierte an die heimatlichen Fanhorden, sich auch zum Kleinen Finale noch ein weiteres Mal so massenhaft und motivationsfördernd wie zu den bisherigen Spielen beim Brandenburger Tor einzufinden. Und es ward, wie es ziemlich oft geschieht, ein sehr, sehr gutes Spiel, dieses Spiel gegen Uruguay um Platz 3.

Heute aber ist es leider nicht so. Die Brasilianer sind immer noch am Boden zerstört. Der beim 1:7 gegen die Deutschen gesperrte Abwehrchef Thiago Silva ist wieder da, aber die Verzweiflung sitzt noch tief und die Verkrampfung im brasilianischen Spiel ist nicht zu übersehen. Schon nach drei Minuten liegen sie nach einem Foulelfmeter von Van Persie mit 0:1 zurück. In der 17. Minute schießt Blind das zweite Tor für die Niederländer, und da muss man schon fast eine ähnliche Packung befürchten wie die von den Deutschen verabreichte vor drei Tagen. Die Brasilianer aber fangen sich, doch nur soweit, dass es ihnen gelingt, eine solche zu verhindern. Nach vorne aber passiert wenig bis nichts. Die Brasilianer im Stadion buhen ihr Team aus. Die Spieler reagieren, indem sie wieder mit viel Härte in die Zweikämpfe gehen. Die Schiedsrichter lassen es wieder größtenteils geschehen. So wird's kein schönes Spiel, und zum Ende steht es 3:2 für die Brasilianer in Gelben Karten. Und in Toren gelingt Wijnaldum in der 90. + 1. Minute noch das holländische 3:0.

Die sozialen Proteste im Land waren, sobald das Turnier einmal lief - wie das halt immer so ist - weitgehend verstummt und einer riesigen Begeisterung für Neymar und Konsorten gewichen. Aber so wie das Turnier für die Brasilianer geendet hat, dürfte es für die Präsidentin Rousseff bei der Wahl im Herbst schwierig werden, sich die WM als einen Erfolg ans Revers zu heften.


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