Warum hühfstn du eigentlich nehd zu di Deitschen?
Für den zweiten Auftritt der Deutschen haben wir uns das Wiener Public Viewing erwählt, bei dem sich die „richtigen Fans“ versammeln. Meine unvollständig gelungene Assimilation, mein noch nicht unhörbar gewordener deutscher Akzent auf der einen Seite und mein Mitfiebern mit den Ghanaern auf der anderen sind nicht unbemerkt geblieben, und in der Halbzeitpause spricht mich ein Tischnachbar an: „Derf ich di was fragen? Warum hühfstn du eigentlich nehd zu die Deitschen?“ -
„Aus dreierlei Gründen.“ Gerne erkläre ich es ihm. „Aus einem mikroökonomischen, aus einem makroökonomisch-kapitalismuskritischen und aus einem subjektiv-autobiografischen Grund.“ Der Mann runzelt die Stirn. „Der mikroökonomische“, gehe ich in die Details, „ist schlicht der, dass ich um zwei Bier gewettet habe, dass die Deutschen schon bei der Vorrunde ausscheiden werden.“ -
„Bist deppert? Des konnst vergessen. Auch wanns amoi nehd lahft bei die Deitschen, weans eahnen trotzdem irgendwie durchwurschteln. Des wohr scho immer so. Die Deitschen san a Turniermannschaft.“ -
„Das war nicht schon immer so“, korrigiere ich ihn. „Bei der Europameisterschaft 2004 sind sie in der Vorrunde ausgeschieden. Aber es stimmt schon: Um meine Wette steht es nach dem 4:0-Auftaktsieg gegen Portugal wahrscheinlich nicht mehr zum besten. Da war wohl doch der Wunsch zu sehr der Vater des Wetteinsatzes. Mein zweiter Grund, der makroökonomisch-kapitalismuskritische“, fahre ich fort …
„Woat an Moment!“ sagt der Fan, und er erhebt sich. „I muss amohl.“ Will er meine detaillierte Begründung vielleicht gar nicht hören? Er geht zur Toilette, und danach stellt er sich um ein Bier an. Kurz nach Anpfiff zur zweiten Halbzeit setzt er sich wieder an den Tisch.
„Mein zweiter Grund, warum ich zu Ghana halte“, fahre ich mit meinen Erörterungen fort, „sind die ungleichen Ausgangsbedingungen. Man hilft ja besonders beim Fußball immer gerne zum Außenseiter. Die Teams aus Afrika haben weniger Ressourcen, in aller Regel, und sie können sich, was die Infrastruktur im Land oder auch die Trainingslager im Ausland betrifft, nicht ganz so optimal vorbereiten wie die Teams der reicheren Länder. Fußballerisch holen sie auf, wegen der immer mehr Legionäre, die in Europa ihr Geld verdienen. Aber es ist auch nicht leicht, aus diesen Stars und Halbstars ein Team zu formen. Und hier kommt dann noch eine weitere strukturelle Benachteiligung der afrikanischen Teams zum Tragen: die noch relativ geringe Erfahrung auf WM-Niveau. Gerade einmal zwei Startplätze wurden den afrikanischen Teams lange nur zugestanden. Bei der WM vor vier Jahren waren es neben dem automatischen Startplatz der südafrikanischen Gastgeber immerhin schon generöse vier, jetzt sind es deren fünf. Europa hat dreizehn. Dies wäre mein zweiter, der makroökonomische Grund.“
Der Mann, scheint mir, schenkt meinen Ausführungen nur noch geteilte Aufmerksamkeit. Götze hat eben das 1:0 für die Deutschen erzielt.
„Und mein dritter Grund ist, wie gesagt, ein subjektiv-autobiografischer.“ Ich komme mit meinen Erklärungen zum Schluss. „Ende Juni hat mein Vater Geburtstag. Wann immer es mir möglich ist, fahre ich zu diesem Anlass in die alte Heimat. Und alle zwei Jahre fällt dieses nun immer zusammen mit den fußballerischen Großereignissen, und viele Menschen dort sind völlig hysterisch und national besoffen. Die Reise steht in Kürze wieder an, und so hoffe ich auf ein deutsches Ausscheiden bis dahin, denn dann wäre die Atmosphäre dort während meines Aufenthalts viel entspannter.“ -
„Ah, so is des also bei dir“, sagt der Fan. „Ja da schau her!“ Er wendet sich dem Großbild zu. Ghana hat eben den Ausgleich erzielt.
Als es zehn Minuten später sogar in Führung geht, scheint sogar ein Ausscheiden der Deutschen in der Vorrunde und ein Gewinn meiner diesbezüglichen Wette wieder im Rahmen des Möglichen zu liegen.
Miroslav Klose wird eingewechselt und erzielt mit seinem ersten Ballkontakt den 2:2-Ausgleich. In der ewigen WM-Torschützenliste liegt er jetzt gleichauf mit dem Brasilianer Ronaldo an der Spitze. An Kloses Torjubel konnte man sehen, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Nach seinen ersten drei Treffern, vor vielen, vielen Jahren, damals gegen Saudi-Arabien, hatte er uns mit mehrfachen Flicflacs aus dem Stand verblüfft, gefolgt von einem dreifachen Salto mit Doppelschraube rückwärts. Mit seinen nun schon über dreißig Lenzen hat es heute bloß noch zu einem Dreiviertelsalto gelangt.
Es folgte ein offener Schlagabtausch, mit besseren Chancen für die Ghanaer. Aber mit etwas Glück brachten die Deutschen das Unentschieden noch über die Zeit.