Aber was zum Henker hat das alles mit Philosophie zu tun?


Dem dritten Spiel des Abends (Chile gegen Australien, 3:1) sahen wir nur noch mit einem Auge zu. Denn ausgehend von der Frage, ob dieses System Tiqui-taca, verstanden als Fußball auf wissenschaftlicher Grundlage, nun ausgedient habe oder auch nicht, kamen wir bald zu einer Folgediskussion darüber, ob es sich dabei nun um eine rein fußballtechnische Frage gehandelt hätte, oder ob uns die Debatte auch noch mehr aussagen konnte über die Zustände heute in der Welt.

Mein grußspurig ausgemaltes geometrisches Verständnis des Raums und des Spiels beim Tiqui-taca, wurde mir da zum Beispiel entgegengehalten, sei natürlich keineswegs etwas Neues. Im Gegenteil gehöre es seit ungefähr 1900 zum kleinen Trainer-Einmaleins, dass allen Jungs (und jetzt auch Mädels) hoffentlich schon von der E-Jugend an beigebracht wird, in aufgeteilten Räumen zu denken, auf dass sie nicht alle im Spiel ständig kopflos dorthin stürzen, wo sich der Ball gerade befindet.

Mir wäre es da nicht um die Methode gegangen, hielt ich wieder dagegen, den Raum geometrisch aufzufassen, sondern um die konkrete Form der Aufteilung des Raums, mit der das Tiqui-taca so erfolgreich geworden ist. Und als wir uns diese konkrete Ausformung angesehen hätten, die in den letzten Jahren so dominant geworden ist, dass sich viele Zuschauer jetzt schon dabei langweilen, (und selbst trotz aller individueller und kollektiver Virtuositäten, die da oft zur Aufführung gebracht werden,) da hätten sich uns ganz wie von selbst jene Verbindungen und Parallelitäten zu anderen Bereichen des Lebens aufgetan, die über die reine Fußballmaterie eindeutig hinausgewiesen hätten.

Einen Trend zu einigen wenigen reichen Vereinen hätten wir da zum Beispiel gesehen; und auch die diversen Versuche, dieses Oligopol zu brechen, entsprächen ebenso Mechanismen in der realen (Wirtschafts-)Welt: mit roher Gewalt, wie im Finale vor vier Jahren; oder durch Anpassung und partielle Adaption des Systems, praktikabel auch für Jedermann, indem den spanischen Exzellenzen quasi mit deren eigenen Mitteln die Räume immer enger und enger gemacht werden; oder auch, wenn sich Teams durch den Einsatz eines Spezialisten wie des Kontersprinters Bayle quasi noch ihre eigene Marktnische neben der fußballerischen Weltspitze erschließen.

Auch andere Bezüge hätten sich noch gezeigt bei unserer Diskussion des Tiqui-taca: zur (Betriebs-)Psychologie etwa, weil es so extrem frustrierend für die Gegner ist, dem Ball immer bloß hinterher zu laufen. Oder wie dieses eben auch eine eigene Betriebsphilosophie hervorgebracht hat, gemäß derer das trotzdem stur trainiert wird, und zwar wie etwa auch beim Militär mit dem Ziel, sich möglichst bei dem stupiden Dauergerenne nichts zu denken.

Aber eine Philosophie, musste ich am späten Abend dann doch einräumen, wäre das noch nicht, trotz aller Bezüge zur Ökonomie und anderen außerfußballerischen Bereichen. Bestenfalls wäre es Soziologie. Und als solche ein möglicher Baustein vielleicht auch zu einer Philosophie. Und noch später am Abend hatten wir uns dann auf die noch bescheidenere Formel geeinigt: Vielleicht handelt es sich da schon um die ersten Bausteine für eine Grundlegung zu einer Philosophie des Fußballs.


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