Vom Mann, der keine Fehler mehr machen wollte
Noch nie zuvor war er auf dem Dach eines Hauses gewesen. Das kam ihm jetzt seltsam vor.
Der Regen hatte aufgehört. Einige der Schindeln waren zerbrochen. Vorsichtig, Schritt für Schritt, stieg er zum First hinauf. Er hätte nicht gedacht, dass es so hoch sein würde. Seine Schuhe schienen ihm auf dem schrägen, unebenen und feuchten Grund einigen Halt zu bieten. Aber er durfte jetzt keinen Fehler machen. Überhaupt hatte er ja beschlossen, generell keine Fehler mehr machen zu wollen.
Er war am Dachgiebel angekommen. Rittlings ließ er sich nieder. Unbewegt sah sie aus, die Stadt. Grau. Da und dort gab es auch ein paar gelbe und grüne und blasslila Flecken in dem grauen Häusermeer. Doch er konnte sich kaum vorstellen, warum das Leben hinter diesen „freundlicher“ gestrichenen Fassaden wesentlich anders verlaufen sollte als in all den anderen ringsherum. Gedämpfter Autolärm drang herauf. Es begann, wieder zu nieseln.
Er würde noch ein wenig ausharren. Dann aber musste er bald eine Entscheidung treffen. Doch wie sie auch ausfallen mochte – eines stand fest: Er würde am Leben da drunten nicht mehr weiter wie bisher teilnehmen. Er fühlte sich dem nicht mehr gewachsen. Es war doch auch augenscheinlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Und er wollte keine Fehler mehr machen.
Aber sollte er hinunter gehen in die Wohnung und sich ans Telefon setzen, um die Arbeit aufzukündigen, die Wohnung und vor allem – das war schon lange überfällig – die falschen unter seinen Freundschaften? Oder sollte er den schnelleren Weg nach unten wählen? Es war eine schwierige Frage; und er wollte ja keine Fehler mehr machen.
Vielleicht – kam ihm jetzt in den Sinn – war die Frage falsch gestellt. Ja. Er würde hinunter gehen in die Wohnung, und, anstatt weiter zu machen wie bisher, sich ein paar Tage Zeit nehmen, um alles noch einmal gründlich zu durchdenken. Er musste sich dazu nicht irgendwelche unangenehmen Telefonate antun. Die Kollegen würden auch von selbst merken, wenn er an ihrem Erwerbsleben nicht mehr teilnahm.
Der Abstieg auf den nassen Ziegeln zu dem offenen Dachfenster unter ihm würde nicht ganz ungefährlich werden. – – –