„Die FußballphilosophInnen haben die Welt nur verschieden interpretiert.
Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
(Karl Marx)
In diesem Sinne sollte sich jede Philosophie des Fußballs, die den Namen verdient, auch praktisch anwenden lassen. Zur …
Fußball-WM 2022 in Katar
… war die Zeit gekommen für eine
praktische Feuertaufe.
Am 20. November 2022,
am Eröffnungstag der WM in Katar,
erschien:
Literarischer Zeitvertreib Nr. 20:
„Wie Deutschland den FIFA-World-Cup 2022 in Katar ganz knapp nicht gewonnen hat“
Alle 64 WM-Spiele
IM VORHINEIN (!)
nacherzählt von Szabolcs Kiss und Victor Halb
IM VORHINEIN (!)
nacherzählt von Szabolcs Kiss und Victor Halb
Auf der Rückseite des Heftes steht, worum es dabei ging:
Das Heft ist LEIDER BEREITS AUSVERKAUFT. Es kann aber HIER ALS PDF heruntergeladen und in ganzer Länge studiert werden.
20. November 2022
Same as it ever was?
Heftvorstellung
Am Erscheinungstag hatte Victor Halb das Heft bei der „Langen Nacht des Herzbluts“ im Wiener Perinetkeller vorgestellt.
(Audio, 10 min., 2 sec.)
20. November 2022 (2)
Das ging ja gleich gut los!
Das Eröffnungsspiel Katar - Ecuador
Zum Eröffnungsspiel des Gastgebers Katar gegen Ecuador hatten wir geschrieben bzw. vorausgesagt: -
Normalerweise ist es üblich und ein schöner Brauch und vor allem auch der Stimmung im Veranstalterland zuträglich, dass dessen Team nicht unbedingt mit Pauken und Trompeten sämtliche Vorrundenspiele verlieren und danach sang- und klanglos aus dem Turnier ausscheiden sollte, und entsprechend waren die Schiedsrichter selbst bei kniffligen Entscheidungen stets auf der Höhe des Geschehens und pfiffen die hoch überlegenen Ecuadorianer, wann immer sich die Gelegenheit bot, regelgerecht zurück. Auch der Video Assistent Referee trug in diesem Sinne sein Scherflein bei und achtete penibel darauf, ob nicht die zahlreichen vielversprechenden Angriffe der Südamerikaner aus Abseitsgründen abzubrechen seien …
Und - das Spiel war noch keine Viertelstunde alt - da wurde tatsächlich schon ein ecuadorianisches Tor vom VAR wegen angeblichem Abseits aberkannt. Auf eine Zeitlupe oder einen sonstigen optischen Beleg für den Regelverstoß wartete man zuerst minutenlang vergebens, und dann wurde aber kurz doch noch diese lächerliche Grafik nachgereicht: -
Hübsch, oder? Danach gingen in den sozialen Netzwerken und unter den Fußballfans mit Recht die Wogen hoch. Denn: Ist das überhaupt der Moment der Ballabgabe? Der Passgeber ist ja auf der Grafik nicht zu sehen. Und wo war in diesem Moment zum Beispiel auch der katarische Goalie oder andere katarische Verteidiger? Die Grafik konnte in dieser Form exakt überhaupt nichts belegen!
In unserer Vorausschau hatten wir gemutmaßt, die Schiris könnten im Zweifelsfall möglicherweise für die Gastgebermannschaft Partei ergreifen. Nun, diese famose Grafik im brandneuen FIFA-Design hatte unsere Befürchtungen auf's Glänzendste bestätigt. Und auch darin, dass Ecuador das Spiel letztlich trotzdem gewinnen würde, lagen wir übrigens richtig.
21. November 2022
Tags darauf ging's gleich so weiter
USA - Wales 1:1
Unser Kurzbericht zu dem Spiel, verfasst im Vorhinein, bestand nur aus dem einen Satz: -
Es erfreut doch immer wieder das Herz, wenn die Resultate-Heimschaukler wie heute die USA mit einem Ausgleich in der letzten Minute bestraft werden.
Und genau so war's dann auch, inklusive des exakten Endergebnisses. Es war verblüffend!
Aber - okay. Vielleicht hatten wir da auch einfach nur Glück gehabt. Bestimmt hatten wir dabei auch Glück gehabt. Denn in anderen Fällen lagen wir ja auch erwiesenermaßen gründlich falsch …
14. Dezember 2022
Als wir auch einmal gründlich falsch gelegen sind
In unserer Vorausschau findet sich in einem der Halbfinalberichte das folgende besondere Vorkommnis: -
Als noch fünf Minuten zu spielen waren, stockte plötzlich die Szenerie. Eine Frau lief auf den Rasen. Ihr nackter Körper war mit der Botschaft „Toxic Masculinity Games“ versehen. Sie schaffte es bis zum Mittelpunkt, wobei sie noch unterwegs Ginter den Ball abnahm. Dort angekommen legte sie das Spielgerät auf den Punkt und urinierte breitbeinig, die Hände triumphierend in die Höhe haltend auf das selbige. Die herbeigeeilten Sicherheitskräfte hüllten sie in Decken und eskortierten sie vom Spielfeld. (In der Live-Übertragung hatte man davon natürlich nichts sehen können, aber Fotos und Videos davon gingen Sekunden später viral.)
Nun, dies war zum Beispiel so ein Fall, da lagen wir mit unserer Voraussicht auf die WM in Katar aber auch schon sowas von falsch!
In Wirklichkeit hatte sich der Zwischenfall nämlich bereits in der Vorrunde abgespielt, und zwar am 28. November in der Partie zwischen Portugal und Uruguay, und der Akteur war in Wirklichkeit männlich gewesen, nämlich der einschlägig bekannte Italiener Mario Ferri, und bekleidet, und er hatte auch nicht auf den Ball gepisst. Weiters war er auch nicht mit einer Aufschrift gegen toxisch männlichen Fußball in Aktion getreten, sondern mit einer Parole in Solidarität mit den im Iran protestierenden Frauen auf dem T-Shirt, und er hatte dabei, was in unserer Version ebenfalls überhaupt nicht vorkommt, eine anti-homophob und anti-zwangsheterosexuell gemeinte Regenbogenfahne geschwenkt.
Ja, wir müssen es unumwunden eingestehen: Manchmal lagen wir mit unseren Vorhersagen aber auch schon dermaßen falsch!
18. Dezember 2022
Ein Fazit zu unseren Prognosen und Fehlprognosen
„Wie Deutschland die WM in Katar ganz knapp nicht gewonnen hat“ - so hatten wir, mein Co-Autor Szabolcz Kiss und ich, unsere Nummer des Literarischen Zeitvertreibs betitelt, in der wir alle 64 Spiele der WM erzählt hatten, und zwar im Vorhinein.
Gewisse Abweichungen in unseren Prognosen von dem, wie die WM dann tatsächlich ablaufen würde, waren natürlich unvermeidlich. Im Großen und Ganzen lagen wir mit unseren Voraussagen aber nicht so schlecht, wie ich meine. Einen Finalteilnehmer, Argentinien, hatten wir immerhin richtig vorhergesagt. Aber unsere gröbste Fehlprognose betraf natürlich unseren anderen Endspielteilnehmer und war offensichtlich die titelgebende: In unserem Heft kommen die Deutschen bis ins Finale, in Katar schieden sie bereits in der Vorrunde aus.
Künstlerpech, würde ich sagen. Wie wir aber andererseits die Umstände des deutschen Scheiterns beziehungsweise Ausscheidens in unserem Heft sehr seltsam präzise vorhergesagt haben, da kann ich wirklich nur verwundert den Kopf schütteln und ich frage mich ehrlich auch selber, wie wir das bloß hinbekommen haben.
In einem fiktiven Live-Ticker liest sich das in „unserem“ Finale so:-
72. Minute: Kimmich flankt von rechts in den Strafraum. Götze nimmt den Ball aus vollem Lauf mit der Brust mit und hämmert ihn volley an die Unterkante der Latte. Der Ball springt von dort nach unten – auf die Linie? Hinter die Linie? [...] War der Ball hinter der Linie? Die Torlinientechnologie kommt zum Einsatz.
74.: Die Überprüfung zieht sich. In kleinen Gruppen stehen die Spieler zusammen und warten auf die Entscheidung. Auf den Großbildschirmen im Stadion erscheinen Grafiken und zeigen die Situation aus verschiedenen Perspektiven. Das Ding war wirklich verdammt knapp! Auch auf der Ehrentribüne gehen die Meinungen auseinander. Manchmal scheint es, als würde der virtuell vergrößerte Ball die Torlinie an einem Punkt gerade noch berühren. Dann wieder meint man, ein Atom hätte vielleicht doch noch Platz finden können zwischen Linie und Ball.
76.: Der Referee reagiert auf die wachsende Unruhe unter den Spielern und im Publikum und lässt den Stadionsprecher durchsagen, die Überprüfung der Szene erfordere noch ein wenig Geduld. Ein höherer Grad an Vergrößerung müsse noch angelegt werden. Die Computer würden auf Hochtouren rechnen.
78.: Tor für Deutschland! Jubel brandet auf. Die deutschen Spieler liegen sich in den Armen. Die Überprüfung hat ergeben, dass zwar kein Atom mehr Platz gefunden hätte zwischen Götzes „Wembleyschuss 2.0“ und der Torlinie, aber ein Elementarteilchen wie zum Beispiel ein Hicks-Boson hätte durchaus noch zwischen Linie und Ball gepasst. [...]
79.: Der Schiedsrichter will wieder anpfeifen, da bekommt er auf dem Headset eine Nachricht. Er lauscht, nickt kurz, bedeutet den Argentiniern, mit dem Anstoß noch zu warten. Auf den Stadionbildschirmen erscheinen die Worte: „VAR GOAL CHECK“. Offenbar wird vom Video Assistent Referee im Keller auf dem Zürichberg in der FIFA-Zentrale in der Schweiz noch der Befund der Torlinientechnologie überprüft. Der Jubel im kleinen deutschen Anhängerblock ist ungläubigem Gemurmel gewichen. Vereinzelt ertönen Pfiffe. [...]
81.: Für einen Moment wird es totenstill im Stadion – auf den Bildschirmen steht zu lesen: „Goal-check complete – No goal“. [...] Ein gellendes Pfeifkonzert hebt an. Einige der vorsorglich mitgereisten deutschen Hooligans fangen zu randalieren an und attackieren den Zaun und die Sicherheitskräfte. Die deutschen Spieler diskutieren noch mit dem Schiedsrichter. Sie deuten zum Stadionbildschirm. Dessen Bild flackert. „No goal“ ist dort zu lesen, dann kurz „Goal!“, dann wieder „No goal“. [...]
86.: [...] Allmählich kristallisiert sich heraus, was passiert ist: Ein übereifriger Mitarbeiter im VAR-Team in Zürich hatte bei der Überprüfung des Befunds der Torlinientechnologie einen noch höheren Vergrößerungsmaßstab angelegt. Dabei hatte sich herausgestellt, dass zwar ein Hicks-Boson sehr wohl Platz gefunden hätte zwischen Götzes Ball und der Torlinie und somit die Torentscheidung korrekt gewesen sei, dass aber auch festgestellt wurde, dass einige Quanten des Balls gleichwohl die Lücke übersprungen hätten, und dass gemäß dieses zweiten Befundes der Ball eben auch wieder nicht komplett hinter der Linie gewesen wäre. Der dpa-Korrespondent bringt es prägnant auf den Punkt: „Sowohl Tor als auch nicht Tor. Ein klarer Fall von quantenmechanischer Überlagerung. Aber wie können wir das einem durchschnittlich gebildeten Fußballfan verklickern?“
Soweit also unsere literarische Version davon, wie Deutschland die WM in Katar ganz knapp nicht gewonnen hat. In der katarischen Realität sah das nun also anders aus: Sein letztes Vorrundenspiel hatte Deutschland zwar gewonnen und es war dabei aber aufgrund der vorherigen Ergebnisse auch noch darauf angewiesen, dass Spanien im Parallelspiel der Gruppe mindestens ein Unentschieden gegen Japan würde erreichen können. (Wovon normalerweise auszugehen war.) Japan hat sein Spiel jedoch sensationell mit 2:1 gewonnen, und somit war Deutschland draußen.
Der japanische Siegtreffer war dabei äußerst umstritten. Möglicherweise war der Ball nämlich vor dem letzten japanischen Pass schon im Toraus gewesen. Der Video Assistent Referee hatte ewig lang überprüft. Und wie verdammt knapp das war, das wurde dann am nächsten Tag zum Beispiel im Standard mit dem folgenden Foto dokumentiert:-
In der Bildunterschrift (hier zu klein gedruckt) schreibt der Standard: „Es braucht ein gewisses Maß an Wohlwollen, den von Japans Kaoro Mitoma ins Spiel zurückgebrachten Ball, der Deutschland letztlich aus dem Turnier warf, nicht im Aus zu sehen.“
Die Ähnlichkeiten mit unserer Version sind natürlich auch wieder rein zufällig. Aber der ganze Fußball besteht ja großenteils auch aus Zufällen. Und ohne eine gewisse sachkundige Phantasie - die würde ich uns schon selbstbewusst attestieren wollen - hätte es zu solchen verblüffenden zufälligen Übereinstimmungen zwischen unserer Fiktion und der Realität (und in diesem Fall also ausgerechnet unsere gröbste Fehlprognose betreffend!) wohl niemals kommen können.