Das zermürbende Warten, unterbrochen von doch immer wieder einmal einer Absage im Briefkasten, das Hinterhertelefonieren um Begründungen für die Absagen; dieser ganze, realistisch betrachtet nahezu aussichtslose Verkehr mit dem Verlagswesen machte mich krank. Ich sage dies ohne Übertreibung! So beschloss ich eines Tages, rein zum Selbstschutz, mir professionelle Unterstützung zu suchen und dieses undankbare Sich-verkaufen-müssen möglichst in professionelle Hände zu delegieren. Ich begab mich ins Internet. Dann klemmte ich mich ans Telefon. Am Ende des Tages hatte ich einen für mich recht kompetent wirkenden und offenbar bis in jüngste Zeit erfolgreichen Literaturagenten ausfindig gemacht. Der Mann äußerte zwar Bedenken, ob er momentan für noch ein weiteres belletristisches Werk erfolgversprechend würde tätig werden können, aber schließlich sagte er zu, sich mein Buch anzusehen.
Ein paar Tage, nachdem ich es ihm zugeschickt hatte, rief er mich an. Er bedauere, sagte er, aber leider könne er nichts für mich tun. Denn mein Buch sei zwar tatsächlich eine „ungewöhnliche Mischform“, wie ich es am Telefon beschrieben hatte, aus seiner Sicht aber und für seine Belange fiele es trotzdem eindeutig in die Kategorie der Belletristik.
Und aus dem Bereich der Belletristik – das hätte er mir ja schon am Telefon erzählt – hätte er sich komplett zurückgezogen. Denn in der Belletristik könne man heutzutage, um jemandem zu einem literarischen Debüt zu verhelfen, überhaupt nichts mehr gezielt steuern. Weder die Qualität des Werks, hätte er erfahren müssen, zähle da heute noch etwas, noch das kompetenteste Management. Für Sachbücher mit einem verkaufsträchtigen Thema, wenn sie gut geschrieben seien, da könne er mit seinen Mitteln vielleicht noch etwas tun. Auch wenn ihm auch da schon Zweifel gekommen seien. Aber bei der Belletristik sei es die reine Lotterie geworden, und zwar eine schlecht dotierte, mit einer Quote von mindestens 98 Prozent Nieten. Sich da zu engagieren könne er sich nicht mehr leisten. Das sei verlorene Liebesmüh!
Auf meine Nachfrage, ob ihm überhaupt ein einziger Fall bekannt geworden sei aus jüngerer Zeit von einem literarischen Debüt, das auf diesem Weg zustande gekommen ist, indem also jemand ungefragt sein Manuskript an einen Verlag geschickt hatte, antwortete er mir: „Nun ja. Ganz selten soll es das wohl schon gegeben haben. Aber die Chance auf einen Lotto-Sechser, oder vom Blitz erschlagen zu werden, erscheint mir größer. Wenn man einen Blick hinter die Kulissen wirft, steckt hinter fast jedem auf dem Markt lancierten Erstlingswerk die eine oder andere Form von Protektion.“
Nicht, dass ich’s nicht auch schon mit Protektion versucht hätte. Immer wieder einmal hatte ich es durchaus auch mit Protektion versucht. Aber wenn ich es mit Protektion versucht hatte, dann immer mit Niveau. Es gibt da ja um den Kulturbetrieb herum auch Myriaden von Schwätzern, die sich gegenüber jedem dahergelaufenen Künstler ungeheuer wichtig tun, was sie für ihn alles bewegen könnten. Auf solche hatte ich mich nie geworfen. Auf die war ich höchstens mal temporär, für ein paar Stunden an einem besoffenen Abend oder so, hereingefallen. Nein, wenn ich’s auf Protektion angelegt hatte, dann immer auf eine mit Niveau. Nur die beste wäre mir da immer, wenn sich’s denn ergeben hätte, gut genug gewesen.
Wie ich mich auch mit diesem Buch wieder auf die Suche nach Protektion begeben hatte – normalerweise schweigt davon des Sängers Höflichkeit. Denn das Thema hat ja auch immer etwas anrüchiges. Aber es im Zusammenhang mit diesem Buch verschweigen zu wollen, hätte kaum Sinn. Denn das Thema kommt ja auch in dem Buch, um das es hier geht; offen zur Sprache. Es ist geradezu ein Hauptthema im „Philosoph auf Reisen“, wie sich da einer auf die Suche nach Protektion begibt. Und wahrscheinlich hat’s auch genau deshalb noch nicht geklappt bisher, weder bei den Verlagen, noch mit einer Protektion. Man spricht darüber lieber nicht so offen. Die Protektionisten, so sie denn aktiv werden, werden lieber im Verborgenen aktiv. Insofern ist die Chance, eine Protektion zu finden für ein Buch, in dem es ums Thema Protektion geht, wahrscheinlich auch generell ziemlich klein.
Ich hab’s aber versucht. Ich hatte mich auch mit dem fertigen Buch wieder an jemanden gewandt mit der Bitte, ob er es nicht unter seine Fittiche nehmen könnte. Vor einiger Zeit hatte ich es dem allerbesten Schriftsteller und Philosophen übergeben, den ich kenne. Die besten waren mir, ich sagte es bereits, auf meiner Suche nach Protektion immer gerade gut genug.
Allein, was soll ich sagen? Nach allem, was ich weiß, hat er das Buch bisher noch nicht gelesen.
Ein Übel am kapitalistischen Kulturbetrieb ist, dass in solchen Fällen unweigerlich der Verdacht aufkommen muss, dass solches Desinteresse vor allem im allerorts herrschenden Konkurrenzdenken wurzelt; dass also keiner, der es geschafft hat, sich eine wie prekäre Position auch immer im Betrieb zu erwirken, ein Interesse daran haben kann, wen auch immer neben sich hochkommen zu lassen. Dieser Verdacht wird im Betrieb, so wie er eben verfasst ist, ganz wie von selbst entstehen, und selbst dann, wenn man der betreffenden Person solch niedere Beweggründe gar nicht zutrauen würde. Und ich würde sie diesem Philosophen- und Schriftstellerkollegen auch tatsächlich nicht unterstellen wollen. Ich hatte mich schließlich nicht irgendwem angetragen. Wenn überhaupt ein Kollege frei sein konnte von diesem primitiven und unreflektierten Konkurrenzdenken, dann war es dieser Kollege.
Dass er das Buch bis heute nicht gelesen hat – ich hörte dann, es lag daran: Er hat einfach immer so höllisch viel um die Ohren.