Immer wieder einmal hatte ich mir auch geschmeichelt – wenn ich mich nicht sogar laut damit gebrüstet hatte – das müsse so sein. Dass ich Zeit meines Lebens im Kulturbetrieb nicht würde landen können, liege ja mitnichten daran, dass ich nicht schreiben kann. Dass ich gut schreiben kann, das sagen sie immer alle. Dass es somit an den Inhalten liegen müsse, sagte ich mir dann. Beziehungsweise, mit diesen verbunden und nicht unabhängig davon zu denken, an meiner politischen Einstellung. An einer persönlichen Haltung vor allem auch, die ich schon sehr bald eingenommen und dann konsequent beibehalten hatte. (Was vielleicht tatsächlich nicht mehr oder zur Zeit jedenfalls nicht zeitgemäß ist.) Einer feindlichen Haltung nicht zuletzt auch gegen eben jenen Betrieb, der mich nun aus sich fern hielt. Wer wollte ihm daraus einen Vorwurf machen?
Seit den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts zog sich das durch mein Werk. Zuerst hatte ich da noch Filme gemacht und war mit ihnen durch die Gegend getingelt. Als es dann darum gegangen wäre, ins Profiformat zu wechseln, weil dieses Filmemachen auf Kleinkunstniveau für mich, was die formalen und vor allem auch die Distributionsaspekte anging, definitiv ausgereizt war, hatte ich den Sprung ins Profimetier zwar versucht, so gut es in meiner Macht lag. Aber ich war dann doch schnell zu der Erkenntnis gelangt, dass ich für die Filme, die mir damals, in diesen wilden Zeiten vorschwebten, das nötige Geld niemals bekommen würde. Und so hatte ich mich fortan, weil von der Industrie nicht zu erwarten stand, dass sie Investitionen tätigen würde, die letztlich zu ihrer Abschaffung hätten beitragen sollen, erst auf die Fotographie verlegt, dann noch auf die Musik, und seit zehn Jahren dann hauptsächlich aufs Schreiben. Auf Kunstsparten mithin, in welchen, wie ich meinte, auch ohne die billigende Unterstützung durch einen ganzen Apparat zufriedenstellende künstlerische Ergebnisse zu erzielen sein müssten.
Und so ist es auch, speziell beim Schreiben. Du brauchst einen Stift und du brauchst Papier – that’s it. Schon kannst du die wunderbarsten Kunstwerke in die Welt setzen. Die alten Probleme treten aber in vollem Umfang wieder auf – und darin zeigt sich die dumme Beschränktheit jenes meines früheren sozusagen kunstautonomen Standpunkts – wenn der Schriftsteller sich dann noch einbildet, auch noch gelesen werden zu wollen. Dann sieht er sich, wie bescheiden seine Bedürfnisse für die Phase der Produktion auch eingerichtet waren, hopplahopp doch wieder konfrontiert mit dem ganzen kulturindustriellen Apparat. In dieser Hinsicht hat sich für meine Kunst dadurch, dass jetzt zu ihrer Produktion quasi nur noch Stift und Papier nötig sind, rein überhaupt nichts geändert. Das ist die Lage, rein nüchtern betrachtet.
Und dann stelle ich es eben gern auch immer wieder einmal positiver für mich dar. Und das geht dann so: Alsbald schon hatte ich den Entschluss gefasst, mich nicht auf den alten Lorbeeren ausruhen zu wollen. Dass ich vor zwanzig Jahren einmal nicht im Betrieb hatte landen können, war mir noch lange der Ehre nicht genug. Die Sporen, vom Betrieb zurück- und abgewiesen zu werden, wollten immer wieder aufs neue verdient sein. Und also machte ich immer wieder neue Anläufe. Ich bewarb mich mit Büchern bei Verlagen. Ich schickte Texte an Literaturzeitschriften. Ich nahm an Schreibbewerben teil. Die Versuche sind Legion, und trotzdem habe ich es bis heute, abgesehen natürlich von denen, die ich selbst in den Druck befördert habe, nicht auch nur zu einer einzigen gedruckten Zeile gebracht. Ist das nicht merkwürdig? Jeder Depp hat nach soviel gezeigter Eigeninitiative irgendwann schon einen kleineren Preis gewonnen oder wenigstens ein paar abgedruckte Texte in peripheren Literaturzeitschriften aufzuweisen. Ich habe immer noch keine einzige Zeile. Das hat doch was. Ich bin wie gesagt stolz darauf.
Wie habe ich das nur hinbekommen? Es dürfte klar sein, dass es nicht an einzelnen meiner Aussagen gelegen haben kann. Denn wenn ansonsten „das Umfeld passt“, dann gibt es nicht eine einzige Aussage auf der ganzen Welt, die zu abstrus oder zu unwichtig und nebensächlich, zu durchgeknallt oder politisch zu radikal wäre, als dass sie vom Betrieb nicht noch zu verwurschten wäre. So eins zu eins in Wirkung übersetzt geht’s in der Literatur ganz sicher nicht zu. So wichtig und wirkmächtig sind ihre konkreten Inhalte nicht.
Eher lag’s schon daran, dass immer, wenn ich mit Kulturbetriebsmenschen zusammen kam, plötzlich für diese wie für mich das Umfeld eben genau nicht mehr passte. Wir spürten dann den Antagonismus. Sie sind fürs Geldverdienen zuständig und haben daher mit Kunst kaum etwas zu schaffen, während ich für die Kunst zuständig bin; was mich des Gelderwerbenmüssens keineswegs enthebt; was einen starken Einfluss auf meine Kunst ausüben wird, und zwar derart, dass sie sich, ob ich will oder nicht, in eine Richtung bewegen wird, wo für die Kulturbetriebler mit ihr möglichst kein Geld zu verdienen sein soll, sondern wenn’s denn schon sein muss, dann bloß für mich.
Der springende Punkt ist: Kein Mensch im Betrieb hätte etwas gegen extreme Aussagen einzuwenden. Kein Mensch im Betrieb hat auch etwas gegen die ziemlich weit verbreitete Kunst, die mit dem alltäglichen Zwang, Geld verdienen zu müssen, am liebsten nichts zu schaffen haben will. Aber eine Kunst, die im Gegenteil diesen Zwang und entsprechend die eigene Beziehung zum Betrieb permanent zur Sprache bringt? Der Betrieb hört von einer Kunst überhaupt nicht gern, dass es ihn tatsächlich gibt. Das macht den Künstler für ihn zu einem unsicheren Kantonisten. Und so eine Art von Kunst – da müssen die Kulturbetriebler gar nicht heucheln, lügen oder sich verstellen – das ist aus deren Warte auch ganz ehrlich noch nicht einmal eine richtige Kunst.