Wenn ich jetzt noch ein paar Tipps gebe und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudere, wie ich es durch die Jahre immer wieder aufs neue geschafft habe, abgelehnt zu werden, so möchte ich vor allem für Kollegen, die geneigt sind, mir darin nachzueifern, noch einmal betonen, dass jedes der Beispiele für sich allein kaum ausreichen konnte, den Ablehnungserfolg zu erzielen. Um nicht auch als literarische Mätzchen oder die üblichen rauen Scherze goutiert und missinterpretiert werden zu können, muss die Lektorenbrüskierung verwoben sein in ein ganzes Netz weiterer betriebsfeindlicher Signale und Hinweise, und erst in diesem und mit diesem zusammen werden sie eine unzweideutig betriebsfeindliche Haltung konstituieren können.

1. Beispiel: Radikal bürgerlich sein. In meinem „Taxi-Tagebuch“ hatte ich einen Aphorismus abgedruckt, und dazu eine Illustration. Der Aphorismus lautete: „Nichts weckt meinen Bürgersinn so, wie wenn der Kunde König sein will.“ Darüber war abgebildet, naheliegenderweise: eine Guillotine. In schätzungsweise 95 Prozent der Verlage wird der begutachtende Lektor daraufhin, auch wenn er zuvor vielleicht sogar gut gelaunt und geneigt war, heute einmal etwas anzunehmen, es bei diesem Buch nicht tun. (Wenn er sich nämlich Rechenschaft darüber ablegt, dass in seinem Haus gegenüber der Kundschaft nun denn doch eine andere Philosophie gepflegt wird.)

2. Beispiel: Der Presse und den Journalisten ans Bein pinkeln. Mein nächstes Buch, „Das Zeit-Seminar“, war überwiegend ein Sachbuch, und so war es mir dort schlecht möglich, wieder jakobinische Verbalradikalismen unterzubringen. Ersatzweise benannte ich dann eben das erste große, das Einleitungskapitel, in dem die Problematik aufgefächert wird: „Zeit im Feuilleton – Die große Konfusion“, und ich wies darin dann schlüssig nach, dass es eine Menge Dampfplauderer in den Feuilletons der Zeitungen gibt, die – jedenfalls von Zeit – keine Ahnung haben. Später im Buch setzte ich zur Sicherheit noch mit dem Aphorismus nach: „Eine Zeitung hat insofern mit Zeit zu tun, als sie in der Lage sein kann, uns ein ganzes Universum an Blödheit aufzuschließen“, und mit der Kombination aus beidem konnte ich vermutlich wieder ein paar begutachtende Lektoren zu Ablehnungen gestimmt machen. Solche nämlich, die sich auch beim Manuskript schon ihre beruflichen Gedanken machen, ob es wohl zukünftig, als Buch, günstige Kritiken bekommen wird.

3. Beispiel: Adorno zitieren. Wenn man vom Betrieb genommen werden will, sollte man ihm eine bis zur Verunglimpfung vermenschelnde und sein Werk depolitisierende Biographie hinterher schreiben. Um abgelehnt zu werden, ist es besser, ihn zu zitieren. Im „Mann, der keine Fehler mehr machen wollte“ hatte ich ein paar Passagen von Adorno zitiert, und weil es da auch noch um die Kulturindustrie ging, hatte ich den Ablehnungserfolg damit schon so gut wie in der Tasche.

By the way – Adorno hat offenbar alles, worum es auch in der Broschüre geht, die Sie gerade in Händen halten, vorausgewusst: –

Die Ideologie versteckt sich in der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Nicht zu jedem soll das Glück kommen, sondern zu dem, der das Los zieht, vielmehr zu dem, der von einer höheren Macht – meist der Vergnügungsindustrie selber, die unablässig auf der Suche vorgestellt wird – dazu designiert ist. Die von den Talentjägern aufgespürten und dann vom Studio groß herausgebrachten Figuren sind Idealtypen des neuen abhängigen Mittelstands. (…)

Nur einer kann das große Los ziehen, nur einer ist prominent, und haben selbst mathematisch alle gleiche Aussicht, so ist sie doch für jeden Einzelnen so minimal, dass er sie am besten gleich abschreibt und sich am Glück des anderen freut, der er ebenso gut selber sein könnte und dennoch niemals selber ist. Wo die Kulturindustrie noch zu naiver Identifikation einlädt, wird diese sogleich wieder dementiert. Niemand kann sich mehr verlieren. (…)

Sie verstehen den Wink. Im Grunde erkennen alle den Zufall, durch den einer sein Glück macht, als die andere Seite der Planung.

Ansonsten kann man sich mit Antisemitismus befassen; man kann sich gegen jede Form von Antiamerikanismus verwahren; man kann Sympathien zur verpönten Politsekte der Antideutschen bekunden; man kann dies noch erläutern, indem man sagt, die Sympathien kämen hauptsächlich daher, dass man sich beim besten Willen nicht vorstellen könne, zu Prodeutschen welche zu haben; man kann am gewesenen Sozialismus und an der DDR gute Haare lassen; man kann sich als leidenschaftlicher Raucher bekennen und gegen die ausgreifende Nichtraucherdespotie vernünftige Einwände erheben – der Phantasie des Autors, um unpopuläre Standpunkte zu finden, die er vertreten kann, um die Lektoren davon abzubringen, seine Bücher anzunehmen, sind keine Grenzen gesetzt.

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