Web-Tagebuch (2014)

15. Februar 2014

Giraffenrechte

Ich bin empört und wütend über die dänische Giraffenaffäre.

Klar, dass auch die Jütländer Löwen fressen müssen, so wie alle anderen. Aber hätte man ihnen nicht auch einen Delphin geben können?

01. März 2014

Info-Screen

Wenn man sich an den Fahrgästen satt gesehen hat, dann kann man sich an einigen U-Bahnstationen Wiens und in Straßenbahnen und Bussen außerdem auch mit Informationen aus den sogenannten Info-Screens die Zeit vertreiben, und nebenbei wird man dabei auch meistens noch gut informiert.

Gestern waren die vom Info-Screen wieder schwer auf Zack. Sie waren rechtzeitig vor Ort und es gab bewegte Bilder, wie zwei Träger einen provisorischen, einen Sarg aus Leichtmetall aus einem Haus transportierten. Darüber gelegt informierten die Schrifttitel: „Ein Beziehungsdrama? - Ein Wiener tötete eine Frau mit vier Schüssen und schoss sich danach selbst in den Kopf. Die Polizei fand ihn lebensgefährlich verletzt im Stiegenhaus.“

Unmittelbar darauf kam, wie das eben immer so ist bei diesem Info-Screen, ein bezahlter Beitrag. Offenbar hatte da eine NGO Geld aus ihrem Topf für die Öffentlichkeitsarbeit ans Info-Screen-Konto überwiesen. Zuerst war nur plakativ zu lesen: „Ohne uns könnt Ihr zusperren!“ Und danach in einer zweiten Zeile: „8. März - Internationaler Frauentag“.

Ich glaube gar nicht, dass die Abfolge rein aus Zufall entstand, quasi aus dem System heraus und weil im Info-Screen-Programm halt Nachrichten und bezahlte Beiträge willkürlich nebeneinander zu stehen kommen. Nein, ich denke, wenn die so einen bezahlten Beitrag von einer feministischen Organisation herein bekommen: „Ohne uns könnt Ihr zusperren!“, dass sie dann bewusst auch den Polizeifunk noch abhören daraufhin, ob es nicht irgendwo in Wien ein entsprechendes Beziehungsdrama gegeben hat, welches die bezahlte provokative Behauptung noch tagesaktuell untermauert. Bisher hatte ich gedacht, ein Medium, welches so intransparent Nachrichten mit bezahlten Beiträgen durchmengt, könne nur unseriös ein. Jetzt aber muss ich den Feministinnen zu ihrer klugen Investition gratulieren. Denn wo sonst kriegt man für eine kleine bezahlte Anzeige noch gratis so viel drauf?

24. März 2014

Ohne Fleiß kein Preis

Seit gestern ist Salzburg vorzeitig österreichischer Fußballmeister 2014. Die dümmste Spielerphrase aller Zeiten wurde auch wieder zu Gehör gebracht: Die Salzburger seien für die harte Arbeit während der Saison belohnt worden.

Ja eh! Die anderen neun Mannschaften waren halt einfach stinkfaul! Man muss sich schon auch ein bisschen anstrengen. Erst wenn sich endlich mal alle zehn Teams während der ganzen Saison ordentlich den Arsch aufreißen, wird es mit dem österreichischen Fußball aufwärts gehen. Und alle werden sie gerechterweise dann dafür mit einer Meisterschale belohnt werden, und überall im Land werden Meisterfeiern stattfinden, und nicht bloß immer in Salzburg, und überall können Spieler vor die Kameras treten und sagen, dass sie im Grunde nur für die harte Arbeit während der Saison belohnt worden sind, und überall im Land wird den Trainern Bier über den Kopf geschüttet und fröhlich gefeiert werden, aber nicht bis spät in die Nacht, denn am nächsten Morgen muss natürlich gleich wieder hart trainiert werden. Denn wenn immer bloß gefeiert wird und nichts gehackelt - das hat man ja jetzt wieder an diesen neun Looser-Teams gesehen - dann folgt die Strafe auf dem Fuß und es gibt dann keine Meisterschaft im nächsten Jahr.

25. März 2014

Rentabilität für Dummies

Schon vor ewigen Zeiten, im Juli 1997, hatte ich im Literarischen Zeitvertreib Nr. 5 Ökonomie für Anfänger gelehrt und ich gab damals, noch in meiner alten Heimat Nürnberg, den wichtigen -

Hinweis: Wer zu jenem Discountladen in der Vorderen Sterngasse will, der an der Fassade mit den Worten warb: „Teures billig!“, findet ihn jetzt hinter dem großen weißen Transparent mit der Aufschrift „Konkurs-Ausverkauf“.

Wenn mein Blättchen Pflichtblatt an den Börsen wäre, könnte man sich viel Kummer und Elend ersparen. Aber niemand in den Konzernvorständen und Aufsichtsräten hört ja auf mich, und so muss der gleiche Fehler immer wieder gemacht werden. Hätten die Essls mein Organ abonniert gehabt, dann wären sie gewarnt gewesen und stünden jetzt nicht vor der Pleite. Über Jahre hatten sie die Baumaxx-Produkte unter die Leute gebracht nach der Devise: „Großer Wert und kleiner Preis“. Jetzt sieht man es wieder: Das geht sich auf lange Sicht allein schon aus Rentabilitätsgründen sicher nicht aus.

28. April 2014

Zwei Heilige mehr

Zwei ehemalige Päpste sind gestern heilig gesprochen worden.

Beim Einen war die vorgeschriebene Frist seit dessen Ableben noch nicht verstrichen. Im Leben des Zweiten ist kein Wunder passiert, was bis jetzt immer die Voraussetzung war, um zu der Ehre zu kommen.

Wenn eine Sekte so wurschtig mit ihren eigenen Vorschriften umgeht, kann uns das ja egal sein. Aber wenn da eine ganze Million von Anhängern zu solch einem Vielgöttereispektakel anreist, könnte einen das schon zweifeln lassen an der Vernunft in der Welt.

14. Mai 2014

Omnipräsent

Niemand kommt zur Zeit um die Allgegenwärtige herum. Alle müssen sie sich - sei's im Guten, sei's zur Abgrenzung - auf sie beziehen. Ein schönes Beispiel liefert Colette M. Schmidt heute im Standard. Sie hat Ewald Stadler bei seiner Wahlkampftour für die „Reformkonservativen“ auf einen Grazer Markt begleitet und die folgende Szene festgehalten:

… Stadler begrüßt die nächste Standlerin mit einem frohen „Grüß Gott“.

„I brauch nix“, fährt ihn die ältere Frau mit einem kleinen Messer in der Hand an.

Nächste Station Käsestand. „Haben Sie Bregenzerwälderkäse?“, sucht Stadler das Gespräch.

„Na“, ist die knappe Antwort.

„Weil meine Frau ist Spezialistin für Bregenzerwälderkäse“, probiert er es wieder.

„I verkauf steirischen Käs“, quittiert der Verkäufer.

Letzter Versuch beim Fleischhauer: „Ich frag nicht, ob sie Conchita-Wurst haben“, scherzt Stadler.

„Hamma net, tät aber sicher gut gehen“, sagt die Verkäuferin ungerührt.

„Ich bin mehr für traditionelle Wurst“, meint Stadler.

„Wir net“, kontert eine jüngere Verkäuferin. …

Der reformkonservative Wahlkämpfer könnte ja auch darauf verzichten, auf Conchitas Triumph anzuspielen. Sollte man meinen. Aber ihr Bart kratzt ihn gewaltig. Und so kann er es eben doch nicht.

19. Mai 2014

An die Jungwähler

Also ich persönlich finde FPÖ-Wählen ein Zeichen von Unreife.

10. Juni 2014

So schnell kann's gehen

Anderthalb Jahre nach unserer Reise für das Projekt „Double Travel“ waren Martin Zinggl (Text) und Pascal Maitre (Fotos) für das Magazin Terra Mater in Benin. Ihre Reportage über die „Wassermenschen“ in Ganvié, dem „Venedig Westafrikas“, hat es auch auf die Titelseite geschafft: -

Terra Mater Titelbild

In meiner multimedialen Doku „Double Travel“ hatte ich die Auskunft wiedergegeben, das ökologische System der Lagune sei zwar fragil, aber einstweilen noch intakt. Zwar würde die nahegelegene Millionenstadt Cotonou ihren Dreck ins Wasser abgeben, aber weil es dort kaum Industrie gäbe, wäre dies nur halb so wild.

In Terra Mater ist jetzt anderes zu lesen: Die Pfahlhüttendörfer kämpfen mit massiven Umweltproblemen. Seit die Schleuse an dem Kanal, der die Lagune mit dem Meer verbindet, nicht mehr funktioniert, werden mit jeder Flut unkontrollierbar Müll, Abwässer und Meerwasser in die Lagune geschwemmt. Die Fischpopulation hätte sich schon stark verändert. Das Wasser riecht brackig, und wenn die Fischer ihre „Fischgärten“ bewirtschaftet haben und wieder aus dem Wasser steigen, sind sie von einem schimmernden Ölfilm überzogen. Die Notdurft der Dorfbewohner war ja schon immer ein Problem, und hatte schon vor längerem dazu geführt, (hatte ich auch in meinem Text geschrieben,) dass die Fischzucht, die zuerst hauptsächlich unter den Häusern, quasi im Keller betrieben wurde, zu eben jenen „Fischgärten“, nach außerhalb der Dörfer, verlagert worden war. Aber inzwischen, steht jetzt in Terra Mater zu lesen, landet auch mehr und mehr „Wohlstandsmüll“, sprich: Plastikscheiß, von Ganvié aus in der Lagune. Ein Dorfbewohner bringt es, alles in allem, kurz und knapp und dramatisch auf den Punkt: „Nichts ist mehr so wie es früher war.“

Die beninische Regierung versucht, so gut sie es vermag, gegenzusteuern. Sie klärt die Bewohner in Kampagnen auf, steht in Terra Mater zu lesen, versucht, über die Folgen der Wasserverschmutzung zu informieren. Wissenschafter untersuchen laufend die Wasserqualität und analysieren Fischproben.

Wie hatte ich den Fisch in Ganvié noch gelobt: „Wer hier noch nie Fisch gegessen hat, hat definitiv noch Lücken, was man mit Fisch alles Vorzügliches anstellen kann!“ Und der Befund jetzt? Die Schwermetallbelastung verbietet normalerweise jeglichen Verzehr von Fisch aus der Lagune. Aber die „Wassermenschen“ haben keine Alternative. Es gibt dort sonst nichts. Also regieren Fatalismus und Trotz. Die Leute, deren Vorfahren auf der Flucht vor den Sklavenhändlern in die Lagune gezogen waren, können und wollen diese über hundert Jahre gewachsene Lebensweise natürlich nicht einfach ablegen.

Ein weiteres Problem sind die eingeschleppten Wasserhyazinthen. Sie wuchern in den Kanälen und würgen alle sonstige Vegetation ab. Auch auf meinen Fotos sind sie schon zu sehen. Aber mittlerweile bedecken sie große Flächen in der Lagune, und alle Versuche, der Plage Herr zu werden, sind bisher gescheitert.

Welch üble News aus der westafrikanischen Idylle! So schnell kann das heutzutage gehen!


aus Terra Mater

Die Wasserhyazinthenplage in der
Terra Mater-Reportage, 2014.


aus der Doku „Double Travel“

Die Wasserhyazinthen in meiner
„Double Travel“-Doku,
vor anderthalb Jahren.

Juni und Juli 2014

Ein WM-Tagebuch


Im Juni und Juli 2014 schrieb ich an meinem WM-Tagebuch. Nein, eigentlich doch kein Tagebuch. Eher so etwas wie ein Sittenbild. Im weiteren wird daraus ein Buch entstehen, eine Art „Philosophie des Fußballs“.

Die Einträge des ersten Tages lasse ich hier in der ursprünglichen Version stehen.

Wenn es Sie interessieren sollte, wer in Brasilien am Ende Weltmeister geworden ist - hier finden Sie auch das ganze Fußballbuch.

12. Juni 2014

Ein Drama in vier Akten

Die Eröffnungsfeier zur WM in Brasilien war schön bunt gestaltet. Praktisch sämtliche Grundfarben waren gleichmäßig häufig vertreten. Manchmal taten einem ein bisserl die Augen weh.

Inhaltlich war die Feier in vier Akte gegliedert. Das geht ja auch eigentlich überhaupt nicht! Fünf Akte muss so ein Ding haben! Das hat schon der brasilianische Altkicker Aristophanis festgelegt.

Aber Brasilien hat halt nicht mehr zu bieten als bloß: einen ausladenden Regenwald mit verschiedenen seltsamen Pflanzen und Tieren, dann seine verschiedenen Leute und Völker, drittens noch diverse Musikstile und Tänze, und viertens den Sport. Von daher sind sich halt nur vier Akte ausgegangen.

Die Organisatoren hatten alles versucht, um trotzdem noch auf fünf zu kommen. Sie hatten verschiedenste Leute aus diversen Weltgegenden kontaktiert. Nur eine aufstrebende Schlagersängerin hatte zugesagt. Aber als New-Yorkerin war sie halt mit der kühlen Witterung Brasiliens nicht recht vertraut, und so war das Schlagersternchen - Jennifer Lopez ist ihr Name - entsprechend unpassend gekleidet in ihren knappen Fetzen für den Event. Prompt hat sie sich erkältet und wurde heiser. Ihr Gekrächze war kaum zu hören, und so ist auch dieser Versuch der Organisatoren, noch einen fünften Akt „Irgend jemand kommt aus einer Kugel und singt ein Lied“ hinzubekommen, auf der akustischen Ebene jedenfalls, kläglich gescheitert.

Vier Akte also nur. Der Vorteil war: So war die Eröffnungsfeier auch gleich wieder vorbei. Schlussendlich will man bei so einer Fußball-WM ja vor allem Fußballspiele sehen.

Der Kontext

Bevor das Eröffnungsspiel beginnt, macht mir meine Partnerin beim Abendessen Vorhaltungen. Wie könnte ich mich für dieses Spektakel nur so begeistern? Das Militär hätte im Vorfeld die Favelas brutalst gesäubert. Straßenkinder seien eiskalt abgeknallt worden. Dutzende Bauarbeiter seien beim Bau der Fußballstadien ums Leben gekommen. Noch während wir jetzt vor der Glotze sitzen, protestieren Menschen in ganz Brasilien gegen die modernen Gladiatorenkämpfe. Fünf Milliarden Dollar hätte Brasilien in die Spielstätten investiert, Geld, das nun für die Gesundheit und Bildung im Land fehlen würde. Wie zur Bestätigung werden in den Abendnachrichten von Demonstranten „Fuck off, FIFA!“-Schilder in die Fernsehkameras gehalten, und einige Leute zünden in unmittelbarer Nähe des Stadions brasilianische Fahnen an. Polizei und Militär würden in vielen Städten des Landes gerade eben versuchen, die Proteste mit äußerster Härte im Keim zu ersticken.

Kurz gerate ich ins Schwanken. Aber dann fällt mir zum Glück eine Entgegnung ein. Nicht nur heute, das ganze Jahr über, an jedem einzelnen Tag gibt es genug Gründe, um zu verzweifeln. Jeden Tag ertrinken im Mittelmeer Menschen bei dem Versuch, zu uns nach Europa zu gelangen. Dürfen wir dann entsprechend nie mehr feiern und es uns gut gehen lassen? Diese vielen Menschen, die auf überladenen und hochseeuntauglichen Booten die Überfahrt nach Europa riskieren - suchen sie nicht vor allem auch jene materielle Sicherheit, die wir hier zu einem gewissen Grad haben, die es uns nicht zuletzt auch gestattet, (wenn denn die notwendige Fron getan ist,) auch unbeschwert zu feiern?

Überzeugen konnte ich meine Partnerin damit offenbar nicht.

„Arbeit und Fortschritt suchen diese Leute“, fahre ich fort. „Ordem e Progreso, ganz wie es auf der brasilianischen Flagge steht. Lass uns doch später weiter diskutieren. Das Eröffnungsspiel fängt an…“

Brasilien - Kroatien 3:1

Wie es abzusehen war, tun sich die Kroaten schwer gegen die Gastgeber. Ihr Spielmacher Milosevic ist wegen eines groben Fouls in der Qualifikation für dieses Spiel noch gesperrt. Es ist ein Auswärtsspiel. Und weil bei einem vorzeitigen Ausscheiden Brasiliens dort eine Revolution ausbrechen dürfte, welche sich negativ auf das schamlose Milliardenabgezocke der FIFA auswirken könnte, sind deren Referees entsprechend präpariert, und werden ihr Möglichstes tun, um einen brasilianischen Auftaktsieg sicher zu stellen.

Und so kommt es dann auch. Fred, vorgeblich brasilianischer Mittelstürmer, hatte es monatelang eingeübt. Und als er dann wieder einmal im Strafraum der Kroaten einen geringfügigen Kontakt mit einem Verteidiger verspürte, spulte er das Programm ab, das ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen ist. Er riss die Hände in die Höhe, ließ sich mit einem gellenden Schrei zu Boden fallen. Der anschließende Elfmeter von Jungstar Neymar führte zum Ausgleich gegen die Kroaten, die unbeabsichtigterweise durch ein frühes Eigentor von Marcelo sogar in Führung gelegen waren.

Danach schien es dann, als liefe alles nach Plan. Geplant waren Neymar-Festspiele. Aber dieser Neymar Jr. ist ein Filou! Wie die ganze brasilianische Mannschaft hatte er sich in Pressekonferenzen auf die Seite der Protestierenden, draußen vor dem Stadion, gestellt. Und er sagt das nicht nur so.

Kurz vor Schluss luchst er einem Verteidiger den Ball ab, lässt zwei weitere mit ein paar Übersteigern aussteigen, nimmt Kurs auf die Haupttribüne, umkurvt noch die Security und die Leibwächter und trifft mit einem fulminanten Vollspannschuss genau Sepp Blatter am Kinn. Der kippt, augenblicklich bewusstlos, von der Ehrenloge im zweiten Stock, und mit ihm der schwarze Aktenkoffer, den er unter dem Arm gehalten hat. Neben dem Funktionär schlägt der Koffer auf dem Asphalt auf und geht entzwei. Der böige Wind verteilt seinen Inhalt im Stadion. Die dicken Geldbündel flattern im Sturm. Gerecht werden sie unter allen Anwesenden aufgeteilt, und zu einem großen Teil auch gleich weitergeleitet ans brasilianische Gesundheitswesen und in die brasilianische Bildung investiert.

Ein ums andere Mal brandet die Welle durchs Stadion. Der Jubel ist unbeschreiblich. Im Fernsehen sieht man jetzt nur noch glückliche Gesichter.

Nach diesem sensationellen Auftakt spricht nichts mehr dagegen: Dies wird ganz sicher die beste WM aller Zeiten.

Neymar, der Lauser

Neymar, der Lauser.
(Ausriss aus dem Red-Bulletin)

[Hier finden Sie auch das komplette Fußballbuch.]

21. Juli 2014

Die Debatte ist beendet

Matuscheks Kommentar

Aus dem Standard vom 19./20. Juli 2014

Nach einiger Herumtelefoniererei hatte ich heute die folgende Anfrage und stichpunktartige Gliederung per E-Mail an die Redaktion „Kommentar der Anderen“ des Standard geschickt: -

Sehr geehrte Frau S.,
mit meiner telefonischen Anfrage wurde ich vorhin an Sie verwiesen ...
Milosc
[sic] Matuscheks "Kommentar der Anderen" in der Ausgabe vom letzten Wochenende: "Hurra-Patriotismus? War doch nur ein Spiel!" darf meines Erachtens nicht unerwidert bleiben. Ich würde das gerne im Standard übernehmen ...
Stichpunkte:
Nur ein Spiel? - Die Fernsehanstalten zahlen Millionen für die Übertragungsrechte nur eines Spiels? Nein, sie kommen damit schon auch einem Bildungsauftrag nach, denn sie bilden auf der Folie der WM-Berichterstattung das jeweils eigene zeitgemäße Nationalgefühl ab und aus.
Matuschek warnt vor "Paranoia", wenn Leute gleich Angst bekommen vor erneut drohenden Nazi-Horden, wo doch nur ein sportlicher Erfolg der Deutschen ganz unschuldig spaßgesellschaftlich abgefeiert wird. - Erwiderung: Er räumt ja auch selbst die Berührungspunkte zwischen Fußballjubel und nationalistischem Gedankengut ein, und verurteilt auch das zweitere, ganz wie es sich für einen heutigen Zeitgenossen in Deutschland geziemt. Denn wie die Feiernden auch hat er aus der Vergangenheit - das ist heute ja ein deutsches Markenzeichen - gelernt. Fertig gelernt. Aber vielleicht kann man aus dem Holocaust nicht fertig lernen? Vielleicht meldet sich die Vergangenheit gerade dann immer wieder hartnäckig zu Wort, wenn man meint, man habe darüber schon fertig gelernt? Dass sie, weil sie einstweilen nicht und möglicherwiese nie ganz fertig gelernt ist, die spaßgesellschaftlich Feiernden verfolgt auf die eine Weise, und die erschrockenen Beobachter (nur im Ausland?) auf eine andere? Verfolgungswahn?
Zwei Argumente in Matuscheks Artikel (die sich zum Teil widersprechen):
1. Der Fußball schaffe sich seine eigene (Bilder-)Welt und dürfe nicht einfach mit der Geschichte oder der umgebenden Gesellschaft in eins gesetzt werden (der Gaucho-Tanz als harmlos-infantile Spöttelei unter Sportskollegen). - Meint er nicht, dass so etwas auch Vorbildcharakter hat?
2. Der Fußball ruft keine Missstände hervor, die in der Gesellschaft nicht bereits vorher da waren. - Das Totschlagargument schlechthin. Sportler haben Angst, sich als schwul zu outen? Hat mit dem Sport nichts zu tun. Kommt aus der Gesellschaft. Leistungssportler werden depressiv und bringen sich um? Hat mit dem Sport nichts zu tun. Das ist die Leistungsgesellschaft. Immer wieder gibt es Kindesmissbrauch in Umkleidekabinen? Nicht der Sport oder die Sportfunktionäre sind dafür zu kritisieren. Es kommt aus der umgebenden Gesellschaft.
Polemische Zuspitzung: Im Grunde hatte auch Hitler, wenn man es recht bedenkt, keine wirklich neuen Trends gesetzt. Er hat nur ausgebaut und zugespitzt, was auch schon vor ihm da war.
Soweit meine Gliederung. Wenn Sie mir zusagen würden, dass Sie es abdrucken, würde ich mich an die Ausformulierung machen, und etwa 6 Stunden später könnte das Ding fertig sein. Haben Sie daran Interesse? Wie wäre denn das weitere Procedere? Über Ihren Rückruf würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen, Victor Halb

Die Antwortmail, ein paar Stunden später, lautete: -

sg herr halb,
da der beitrag bereits abschließend zur wm gebracht wurde, möchte ich die diskussion nun nicht mehr in die länge ziehen. einen leserbrief im ausmaß von 1500z könnte ich ihnen allerdings anbieten,
beste grüße, dk

Und ich wieder darauf, postwendend: -

Gäb's auch Kohle? Dann schreibe ich's.

Aber Kohle gab's natürlich keine. Und so hat Herr Matuschek, was das Thema im Standard angeht, das letzte Wort behalten.


Berlin, Juli 2014

Ein Neonazi oder nur bewusstlose Spaßkultur?
(am Holocaust Memorial Berlin, Juli 2014)


15. August 2014

Der Feiertag aus wissenschaftlicher Sicht

Beim damaligen Stand der Technik muss sie das Himmelfahrtskommando mit Hilfe protuberantischer Flatulanzen ausgeführt haben.

27. August 2014

Irritierende Parallelität der Ereignisse

Wowi

Michael „Wowi“ Spindelegger ist zurückgetreten.

Michael Spindelegger, charismatischer Vizekanzler und Finanzminister, angetreten seinerzeit mit den legendären Worten: „Ich bin hundert Pro hetero, und das ist gut so“, ist zurückgetreten. Er war immer allseits beliebt. Besonders auch mit dem Schmäh gegen den großen Nachbarn im Norden, Deutschland wäre schon auch gewiss recht sexy, aber halt auch arm, hat er sich einen Platz im Herzen vieler Österreicher erobert. Mit dem schleppenden und exorbital verteuerten Bau des Berliner Flughafens hatte er nichts zu tun. Er war auch immer korrekt gekleidet, nicht wie der Berliner Bürgermeister Wowereit, der wegen seiner ständigen Modetorheiten jetzt ebenfalls hat zurücktreten müssen. Und trotzdem ist auch Spindelegger zurückgetreten. Das verstehe, wer will.

15. September 2014

Zwei ostdeutsche Landtagswahlen,
meinen österreichischen Mitbürgern erklärt

Brandenburg ist in Deutschland das, was in Österreich Niederösterreich ist: Der Flächenstaat, der die Bundeshauptstadt umgibt, und wahltechnisch ein ewiger Erbhof - in Brandenburg ein roter, ganz wie er in Niederösterreich ein schwarzer ist.

Thüringen hingegen gleicht - auch von der geografischen Form her - dem ganzen Land Österreich, wobei dem kulturellen Zentrum Wien das dortige Weimar entsprechen würde, mit Goethe, Schiller, etc. Es gibt dort auch Fiaker. Beide schnitzelförmige Länder, Thüringen wie Österreich, wurden bis dato von einer großen Koalition regiert.

Der größte Unterschied in den ostdeutschen Ländern (inklusive Berlin) zu Österreich ist die weiter anhaltende Präsenz der Linken in den Landesparlamenten. Er ist leicht verständlich zu machen. Viele Leute dort wollen halt die gute alte DDR wieder zurückhaben. In Österreich brauchen wir so etwas nicht, denn Österreich ist ja, wie wir wissen, die heute zeitgemäße Form der DDR.

Die SPD war in beiden Ländern in der Regierung, in Brandenburg zusammen mit der Linken, in Thüringen wie gesagt in einer großen Koalition. Deshalb, und weil sie ganz wie die SPÖ in Österreich auf ihre aussterbenden Kernwählerschaften setzt: auf Pensionisten, klassische Arbeiter und dergleichen, verliert sie ganz wie die SPÖ beständig an Stimmen. Sie hat auch in ihrem ewigen Erbhof Brandenburg wieder an Stimmen verloren, und wie sich das ausgehen kann, dass eigentlich sämtliche Wähler schon längst weggestorben sein müssten, aber deren Partei kann trotzdem bis in alle Ewigkeit ein Land weiterregieren, sieht man an Niederösterreich. Arithmetisch bleibt es ein Rätsel.

Eine Spezialität ist der Neueinzug der „Alternative für Deutschland“ AfD mit über 10 Prozent in die beiden Landesparlamente. Die AfD schimpft über Ausländer, schimpft über die EU, will raus aus dem Euro und ist wohl auch zu einem Gutteil von Nazis unterwandert. Eine „Alternative für Deutschland“ haben wir in Österreich zum Glück überhaupt nicht.

Was wir hingegen noch haben, sind Neos. Eine Partei exklusiv von und für Betriebswirtschaftsstudenten gab es in Brandenburg und Thüringen ebenfalls. Die FDP ist jetzt aber in beiden Ländern an der 5-%-Hürde gescheitert und nicht mehr in den Landtagen vertreten. Oftmals sind uns die Deitschen halt a bisserl voraus. Denn wer braucht in Wahrheit schon eine Partei exklusiv von und für BWL-Studenten?

Bleibt noch, die Grünen zu erwähnen. Sie sind wieder mit um die 5 Prozent in beiden Landtagen vertreten. Ganz wie in Österreich wollen sie in beiden Ländern unbedingt auch einmal mitregieren, und in Thüringen ginge sich das jetzt zusammen mit der SPD und der Linken sogar knapp aus. Aber personell sind sie in Ostdeutschland traditionell nicht breit aufgestellt. Und wer soll sich dann um die blühenden Landschaften (vgl. in Österreich: Berge, Almen, Wasser-, Windkraftwerke) kümmern?

03. Oktober 2014

Liebe Frankfurterinnen, liebe Frankfurter

Einer Kurzmeldung des Standard entnehme ich, dass im Vergleich zu 2011 in diesem Jahr gleich 50 österreichische Verlage weniger, nämlich nur noch 108 statt den 158 vor drei Jahren auf eurer Buchmesse vertreten sind.

Ihr müsst euch darüber nicht grämen. Die meisten österreichischen Verlage sind eh nur dazu da, die staatlichen Druckkostenzuschüsse abzugreifen, und wären auch nach eigener Aussage gar nicht in der Lage, irgendwelche literarischen Impulse zu setzen, selbst wenn sie es wollten. Auch die bestbeleumundetsten unter ihnen entpuppen sich oft, wenn man näher mit ihnen zu tun bekommt, als ordinäre Zuzahlerverlage. Wenn die nicht mehr bei eurer Messe auftauchen, entgeht euch damit nichts.

04. Oktober 2014

Alle Jahre wieder

Normalerweise, wenn ich hier einen Missstand literarisch bearbeitet und beeinsprucht habe, verflüchtigte er sich meistens umgehend. Nicht so mit dem folgenden Artikel. Den hatte ich sogar schon zweimal hier gepostet, und trotzdem taucht das Phänomen jedes Jahr um diese Zeit wieder auf. Die geografische Nähe der Erscheinung zum Planetarium im Prater legt die Vermutung nahe, dass dort irgendwelche Experimente gemacht werden, und dass dabei ein Schwarzes Loch entsteht, was sich zu einem Wurmloch weiterentwickelt. Anders ist es nicht zu erklären, dass jedes Jahr um diese Zeit wieder Unmengen an greislichen Urbayern aus München nach Wien teleportiert werden, und dass dazu auch noch, als wäre das nicht schlimm genug, zahllose österreichische Provinzler und Provinzlerinnen, anstatt auf dem Land zu verbleiben und dort die Almen zu bestellen, sich plötzlich in der Gegend um unser Planetarium materialisieren, wo es Almen überhaupt nicht gibt.

Ich fordere entschieden auf, die Experimente sofort zu beenden, denn ich habe wirklich keine Lust, jedes Jahr wieder den folgenden Artikel posten zu müssen, um die daraus entstehenden grundfalschen Vermutungen zu dementieren.

Nur ein Gerücht

Angeblich geht in gewissen Kreisen das Gerücht um, Trachten seien jetzt wieder in Mode.

Das Gerücht entbehrt jeder Grundlage. Nur Wald- und Wiesenmenschen, die auf Feldern oder Almen arbeiten und noch kaum einen Zugang zu Kultur und Bildung genießen konnten, tragen im europäischen Raum heute noch Tracht. In modernen und weltoffenen Städten wie Wien werden Leute, die immer noch in Dirndln und Lederhosen herumlaufen, als dumme Bauerntrampel belächelt, wenn sie Glück haben, öfter aber gleich ganz unverhohlen verachtet.

Trotzdem verirren sich immer wieder mal Trachtenträger auch in unsere Stadt. Sie werden dann oft von Touristen abfotografiert, die nicht die Zeit haben, auch die ländlichen Regionen Österreichs zu besuchen, wo es das skurrile Fotomotiv noch häufiger aufzufinden gibt, auch wenn Trachten auch am Land heute im Grunde bloß noch von Gastronomieangestellten, von Volksmusikanten und rechtsextremen Politikern bei der Arbeit getragen werden.

06. November 2014

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Jeder darf ja denken, was er will, aber die Verhunzung der deutschen Sprache, die in unschönster Regelmäßigkeit zu beobachten ist, sobald sich gewöhnliche FPÖ-Heinzen an ihr vergreifen, gehört verboten, finde ich. Man sehe sich bloß die folgenden Zeilen an, die mich vor kurzem per E-Mail erreicht haben. Geschlagene sieben Schreibfehler sind in den wenigen Zeilen enthalten, und der Schreiber, ein Herr mit den Initialen A. S., kann bloß froh sein, dass ihm das Recht, FPÖ zu wählen, auch ohne einen zuvor absolvierten Deutschtest zugebilligt wurde. Viele Leute aus diesem Milliöh halten Schreibfehler erklärtermaßen für nicht wichtig und sozusagen lässliche Sünden, aber dagegen möchte ich doch zu bedenken geben: Ab einer gewissen Fehlerdichte leidet auch die Verständlichkeit des Textes. Auch bei dieser E-Mail war es so, dass ich mich dabei gefragt habe: Was will der Mann bloß? Was will der Mann von mir? Er hatte geschrieben: -

Hallo

Sind sie bemüht den linksextremen faschismus offiziell zu machen oder was soll die Diskriminierung der Freiheitlichen Wähler?

Mit weniger freundlichen grüssen

Ein FPÖ Wähler

Trotzdem schreibe ich in der Regel allen, wenn ich denn dazu komme, eine Antwort: -

Servas, A. S., altes Haus,

- da sieht man schon gleich: auch nach einer gewollt rüpelhaften Anrede kommt bei mir immer ein korrekter Beistrich -

von welchen Entitäten …

- fahre ich stets in der zweiten Zeile, beginnend mit einem Kleinbuchstaben, fort. Von welchen Entitäten also -

… ist in der Anfrage die Rede? Tausend Stellen auf meiner Homepage, die du anscheinend studiert hast, alle sind sie in der Tat darum bemüht - wie soll ich das mit deinen Worten so ausdrücken, dass es zu verstehen ist? - den linksextremen Faschismus, aber vor allem den mit dem großen F, nicht nur offiziell Beistrich, sondern hochoffiziell zu machen. Ausrufezeichen! Denn sonst machten ja auch all die Diskriminierungen von FPÖ-Wählern zwischendrin und drumherum (und zwar derjenigen mit wie auch derjenigen ohne Bindestrich zwischen „FPÖ“ und „Wählern“) kaum einen Sinn.

Auf die Nüsse! Das wollte ich auch noch sagen, schreibt man aus gutem Grund mit Doppel-s. Wegen dem Umlaut ü nämlich, der hier ganz, ganz kurz ausgesprochen wird. Fast bräuchte es einen eigenen Buchstaben dazu. Nur ganz kurz ist dieses ü zu hören: N*ü*sse. Und dann wieder gibt es Wörter, da wird ein Selbst- oder Umlaut bedeutend länger ausgesprochen, und damit man dies auch gleich beim Lesen sieht, hat man - du kannst das nicht wissen - bei der Rechtschreibreform das scharfe ß nicht komplett abgeschafft! Denn sonst hätte es jetzt zum Beispiel keinen schriftlichen Unterschied mehr gegeben zwischen „in Massen“ und „in Maßen“. Verstehst du des? Hast mi?

Hoffentlich habe ich mit meiner Antwort helfen können.

Mit freundlichen, nein, nicht Grützen, hahaha, nein, mit Grüüüüüü - ganz, ganz lang ausgesprochen, und danach hier also: ein scharrrrffes ß! Ja: „Grüße“ schreibt man das. Nichts zu danken, keine Ursache.

Victor Halb, Homepage-Bindestrich-Betreiber

30. November 2014

Ja derf ma denn des?

13 Timoschenkos

Normalerweise pflege ich eine Äquidistanz im Konflikt zwischen dem ukrainischen Staat und den prorussischen Separatisten. Wenn ich nicht sogar manchmal ein klitzekleines Bisschen mehr auf der Seite des ukrainischen Staats stehe. (Ganz wie es sich für einen demokratisch gesinnten Europäer geziemt.)

Aber jetzt ersehe ich da aus einem Foto auf der Titelseite des Standard, dass die lange in Haft gewesene ukrainische Politikerin Julia Timoschenko geklont worden ist, mindestens dreizehnmal!

Ja derf ma denn des? Ist das überhaupt noch durch eine humangenetische Ethikkommission gedeckt?

05. Dezember 2014

Aus der Reihe
„Selbstreferenzielles und Rechthaberei“ -

Vor zehn Jahren war ich als
„Philosoph auf Reisen“

Zehn Jahre ist das jetzt her, da war ich als „Philosoph auf Reisen“. In Ungarn hatte ich damals den Beitritt zur EU miterlebt. Das im folgenden noch einmal wiedergegebene Kapitel zeigt, wie da der Reisephilosoph inmitten der allgemeinen Beitrittseuphorie auch schon eine deutliche Ahnung bekam, welch unangenehme Entwicklungen Ungarn noch nehmen würde. Im Vorfeld des historischen Ereignisses besuchte er nämlich –


Eine kulturelle Veranstaltung

Der Event, […] der leider auch mein ganzes Bild von Budapest und Ungarn nachhaltig prägen sollte, war […] der folgende: eine große Anzahl der berühmtesten Künstlerinnen und Künstler Ungarns traten am Vorabend jenes historischen 1. Mai 2004, zu dem es nur noch wenige Tage hin war, und an welchem Ungarn der Europäischen Union beitreten würde, im „Haus der Großungarischen Gesellschaft“ zu einem Gemeinschaftskonzert an, um der spezifisch großungarischen Größe mit all ihren Eigentümlichkeiten noch einmal zu einem denkwürdigen Ausdruck zu verhelfen.

Eine illustre Gesellschaft war da versammelt, fürwahr! Ein bunt gemischtes – nun ja: – Völkchen hatte sich da versammelt: in maßgeschneiderten wie auch in schmuddeligen Second-Hand-Anzügen, in Designerkostümen wie in Bomberjacken, wie in Uniformen der verschiedenen Waffengattungen sowie aus sämtlichen Zeitaltern der ruhmreichen ungarischen Geschichte. Dazwischen standen Zivilisten in lächerlich unpraktisch anmutenden, ich vermute mal: altungarischen Trachten herum.

In der Eingangshalle waren zahlreiche Büchertische mit Infomaterial aufgebaut, alles in – logisch! – ungarischer Sprache gehalten, aber rein schon so derbes Zeug, dass sein Inhalt auch ohne Kenntnis des Ungarischen, sozusagen metanational, auf den ersten Blick zu erfassen war. Großungarische Landkarten gab es da zu erstehen, auf denen Ungarn bis ans Schwarze Meer reichte und manchmal darüber hinaus, die „Protokolle der Weisen von Zion“ lagen herum, einen Wandkalender gab’s mit Gruppenfotos von entschlossen aus der Tarnwäsche dreinschauenden Mitgliedern paramilitärischer Verbände, und und und …

Das Pack sah mir auf den ersten Blick an, dass ich nicht dazu gehörte. Das Pack wollte eigentlich lieber unter sich sein. Das Pack veranstaltete zwar gerade eine öffentliche Demonstration, bei der auch das Fernsehen zugegen war, aber wenn dabei einer wie ich die Gelegenheit wahrnahm, an seinen Büchertischen herumzuschnüffeln, war es ihm auch wieder nicht recht. Das Pack wirkte, als hätte es selbst bei seinem öffentlichen Treiben etwas zu verbergen. Oder auch, als hätte es ein schlechtes Gewissen.

Eine alte Vettel, gewandet ganz in Grün-Weiß-Rot – nicht sehr geschmackvoll, aber man kann sich eben seine Nationalfarben nicht aussuchen – machte sich gleich an mich heran, um mich auszufragen, wo ich herstammen würde. Attila übersetzte es mir. Ich antwortete auf Englisch, sie freundlich anlächelnd, dass ich ein sogenannter Kosmopolit wäre und überall zu Hause sei. Mit starrem Blick glotzte sie mich da an, und dann übersetzte sie es einer daneben Stehenden ins Ungarische, in einem Tonfall, geifernd zwischen Hohn und Hass, so dass ich dann auch gleich noch heraushören konnte, was im Ungarischen das Wort für „Jude“ ist.

Eine illustre Gesellschaft war das, fürwahr!



Rosetta und Tschuri

An ein anderes, weit angenehmeres Erlebnis des Reisephilosophen musste ich kürzlich wieder zurückdenken, als die Sonde Rosetta beim Kometen „Tschuri“ ankam und ihren Lander Philae auf ihm absetzte. Bekanntlich soll die Mission unter anderem ergründen, ob die Bausteine des Lebens möglicherweise durch einen Kometeneinschlag auf die Erde gelangt sind. In einem Kapitel über das beste Museum, das er je besucht hatte in seinem Leben, über das Geologiemuseum in Bukarest, hatte der Reisephilosoph die Frage auch mit dem Museumspersonal diskutiert, damals, just vor zehn Jahren, im gleichen Jahr 2004, in dem Rosetta von der Erde losgeschickt worden war auf die lange Reise.

Auf der Homepage von Halbs Mini-Museum kann man sich unter dem Stichpunkt „Referenzmuseum - So muss ein Museum sein!“ das ganze Kapitel vom Autor vorlesen lassen. Einen Auszug, nur mit den erwähnten Diskussionen mit den Museumsleuten, habe ich jetzt hier noch einmal als Audiodatei extrahiert. (wav, 35 MB, 3 min. 25 sec.)

Wenn man sich die Passage mit der Kometen-Diskussion heute noch einmal anhört, mutet es seltsam an, dass der wissenschaftlich versierte Radu nicht darauf hingewiesen haben soll, dass genau in jenem Jahr eine Raumsonde losgeschickt worden war, um der Frage des extraterrestrischen Ursprungs des Lebens auf den Grund zu gehen. Aber vielleicht hatte er in Wirklichkeit sogar darauf hingewiesen, und die Begriffe „Rosetta“ oder „Philae“ sagten mir nur damals (in dem englisch geführten Gespräch) noch nichts und fielen deshalb bei meinen kurze Zeit später angefertigten Gesprächsnotizen unter den Tisch.

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