„Denn ich muss morgen früh raus“
Immer, wenn mir das zu Ohren kam – „...denn ich muss morgen früh raus“ –, hat mich eine wilde Wut gepackt. Ich hätte den vielen, die mir so schon mitgeteilt haben, dass ihnen ihr Funktionieren in der Arbeit wichtiger ist als das Diskutieren oder Musizieren, als das Amüsieren oder kurz: als ihr Zusammensein mit mir, auf der Stelle ins Gesicht springen mögen.
Stets erfolgt diese Bemerkung, die den Abend verdirbt, weil sie die Fron in ihn einführt und ihn so für alle beeinträchtigt, mit dem Gestus eines leichten Bedauerns, so als könnte die Person daran eben nichts ändern. Diese Heuchelei, diese offensichtliche Unwahrheit finde ich empörend.
Es stimmt: Im Gegensatz zu fast allen anderen übe ich einen Beruf aus, für den der Gebrauch eines Weckers nicht erforderlich ist. Doch eines weiß ich: Nie wollte ich diese Art vorauseilenden Gehorsams gegen die Arbeit leisten, eine gesellige Runde mit der Begründung zu verlassen und zu belasten: „...denn ich muss morgen früh raus.“ Aber ob ich lieber Ausreden erfinden würde, um zu genügend Schlaf zu kommen: dass ich noch anderes zu tun hätte, oder dass mir nicht gut sei; oder ob ich lieber anderntags verschlafen würde oder blau machte – ob ich also auf Geselligkeiten zu verzichten hätte oder eben doch auf eine Menge Schlaf, das musste ich erst noch herausfinden.
Mein anderthalbwöchiger Selbstversuch mit Arbeit vor Morgengrauen hat tatsächlich dazu geführt, dass ich versucht war, wie ein einsichtiges Schulkind, dem beigebracht wird: „Du musst jetzt ins Bett, denn Du musst morgen früh raus!“ zu repetieren: „Ich muss jetzt ins Bett, denn ich muss morgen früh raus.“ Er dauerte lange genug, um mir zu belegen, dass Arbeit vor Morgengrauen dem Leben des Menschen entgegensteht. Er dauerte nicht lange genug, um es zu beseitigen.
Noch lebte ich also, und so konnte ich die Runde ebenso gut auch mit der viel viel besseren Begründung verlassen:
„...weil ich müde bin.“