05. März 2007
Text der Woche
Der jetzt erneut erschienene Literarische Zeitvertreib ist ja schon ein altehrwürdiges Blatt. Zehn Jahre ist es jetzt schon her, da erschien er im März 1997 mit seiner Nummer 3. Darinnen befand sich u.a. auch unser heutiger „Text der Woche“.
Der Spiegel war gerade 50 geworden – der ist jetzt also auch schon 60; Glückwunsch! – und aus diesem Anlass widmete ich ihm damals, aber auch zum literarischen Zeitvertreib, die folgende Sprachstudie: –
Die Stabreim-Stube
Der Spiegel wurde 50. Von allen Seiten wurde er beglückwünscht. Was mich wunderte, war, dass hierbei zwar immer wieder die „Dokumentation“ gerühmt wurde, jener Raum im Spiegel-Verlagshaus, der so viele Lexika aus allen Bereichen enthält, dass dort sämtliche Artikel auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können – sogar Aussagen wie „Saddam = Hitler“ – dass aber diejenigen verschwiegen wurden, die seit 50 Jahren für die Spiegel-Schreibe, diesen unverwechselbaren Stil, zuständig sind, als wäre es ein Redaktionsgeheimnis, dass dort jeder einzelne Artikel nicht nur von der „Dokumentation“, sondern auch in der „Stabreim-Stube“ überarbeitet werden muss. Diese hat die Aufgabe, eine bestimmte Mindestquote an Alliterationen in jede Ausgabe des Spiegel einzuarbeiten.
So pflegt das „Nachrichtenmagazin für Deutschland“ die Tradition des Stabreims, die ihre höchste Blüte in der altgermanischen Dichtkunst erreichte, aber seit sich in der antiken Redekunst die Ansicht durchsetzte, die Häufung von Alliterationen sei ein Stilfehler, beständig an Bedeutung verliert. In der Alltagssprache und in moderner Prosa ist der Stabreim bereits fast völlig verschwunden, gelegentlich finden wir Alliterationen noch in der Werbung („Milch macht müde Männer munter“), in Zungenbrechern wie dem von Fischers Fritze, in Nonsense-Versen und Film- und Buchtiteln. Es ist absehbar, dass der Stabreim auch in diesen sprachlichen Randbereichen bald als zu altbacken verpönt sein und keine Verwendung mehr finden wird. Dann wird es ihn nur noch, dort aber stilprägend, in der Spiegel-Schreibe geben und dies wird diesem noch einen Platz in der Sprachgeschichte sichern, wenn seine staatsbürgerlichen Verdienste, die von ihm aufgedeckten Skandale und gemachten Skandälchen schon längst vergessen sein werden.
Wie nun erlangte der Spiegel diese sprachhistorische Bedeutung? Im Wesentlichen, indem er verfuhr wie mit seiner „Dokumentation“: Er stattete einen Raum des Verlagsgebäudes mit Schreibtisch und mit Lexika aus. Dass diese alphabetisch angelegt sind, erleichtert die Suche nach Alliterationen ungemein. Damit ist vor allem ein Volontär beschäftigt – der „Stabreim-Stift“, wie er hausintern genannt wird. Er hat die Aufgabe, gemäß dreier Basisverfahren vorzugehen. Zum ersten, indem er gebräuchliche Ausdrücke in den Artikeln durch alliterierende austauscht wie „Deutscher Alpenverein“ durch „Kletter-Klub“, „McDonald’s-Kunde“ durch „Fast-Food-Freund“, „Straftäterkartei“ durch „Konterfeis der Kiezgrößen“ oder „Frankreich“ durch „Land des Laisser-faire“. Allein dieses Verfahren erzielt bereits die Spiegel-typische gewissermaßen hemdsärmelig-legere Sprachwirkung, und sehr selten wirkt das Resultat gezwungen wie bei „Schaltschrank“ für „Computer“, dazu sprachrythmisch verunglückt wie bei „Bestseller mit bestialischer Wirkung“ (für „Hexenhammer“), oder ist es fast unaussprechlich wie „Pop trifft Proletariat“. Das zweite Basisverfahren, das der Verdoppelung, funktioniert nach dem Schema „Karibikinsel Kuba“, „Zürich am Zürisee“, „unter Möbeln und Matratzen“, „lästiger Lärm“ und bringt gelegentlich Perlen hervor wie die „Laffen von Landjunkern“. Das dritte aber, das des Paradoxons, schafft eine wahre Fundgrube für diejenigen, die den matten Glanz, eben des Paradoxen, mögen: „Die Leiche lebt“, „zart und zäh“, „zäh und zerbrechlich zugleich“, „ebenso komisch wie konspirativ“, „depressiv und drollig zugleich“.
Doch die Ersetzung gebräuchlicher Worte durch alliterierende Synonyme, Verdoppelungen und Paradoxa begründet noch nicht die stabreimhistorische Bedeutung des Spiegel. Diese entsteht erst dadurch, dass neben dem „Stabreim-Stift“ eine zweite Kraft, ein ausgebildeter Redakteur, die germanische Tradition pflegt. Dabei ist er nicht nur für das klassische Verfahren zuständig, das sich wie bei „Friede, Freude, Ostseefrische“, „Schmeichler, Schleimer und Heiratsschwindler“ oder „Klüngel, Karpow und Computer“ meist in Über- und Bildunterschriften niederschlägt. Das erledigt er nur nebenbei. Die meiste Zeit kann er seiner Phantasie freien Lauf lassen, kann mit Wörterbuch arbeiten oder ohne, ganz wie es ihm beliebt, wenn nur Alliterationen dabei herauskommen. Also sammelt er „garstige Gören“, „hassende Horden“, „Mickeys Millionen“, „Mini-Machiavellis“ und „Wirbelwiener“ und schreibt auch ganze Sätze wie „Mehr Deutsche denn je düsen in diesen Tagen...“ oder „Schaudernd stehen die Schlachtenbummler vor den Schaufenstern der Dekadenz und schwören, sich nichts zu schenken“. Doch er sammelt nicht nur. Viel Zeit verbringt er mit Reflexionen (wie z.B. der, ob „braune Prominenz“ alliteriert oder nicht) und damit, die Sammlung zu gruppieren und umzugruppieren, um sie in den nächsten Spiegel-Ausgaben verwerten zu können. So kommt es, dass „Stoff vom Staat“, „Mißmanagement bei Mannesmann“ und „kontaminierte Kindergärten“ bevorzugte Spiegel-Themen sind.
Die Sternstunden der Stabreim-Stube aber sind es, wenn es von Zeit zu Zeit gelingt, einen ganzen Stapel von Stabreimen in einem Aufwasch unterzubringen, indem z.B. aus „Satan wird Salonlöwe“, „diabolischer Dandy“, „Theologen-Tüfteln“ und „statt Bockmist schweflige Bonmots“ eine ganze teuflische Titelgeschichte entsteht.
Das die germanische Sprachtradition des Stabreims pflegende Verfahren des Spiegel mag manche nerven, doch es ist nicht zu bestreiten, dass sich in der Menge des Auswurfs an Alliterationen zuweilen wahre Sprachdiamanten finden. Diese sind diejenigen Worte, deren Klang sowohl quasi den Inhalt illustriert als auch auf einer Meta-Ebene die Entstehungsgeschichte transzendiert wie z.B. bei „Quälqueen des Fernsehens“. Ist diese Wortschöpfung des Spiegel noch zu übertreffen? – – –
(Anm.: Die im Text kursiv gedruckten Alliterationen stammen aus den Spiegel-Nummern 48, 51 und 52 / 96. Verwendung fanden etwa drei Viertel der dort gefundenen.)