Es ist aber auch nicht so, dass diesen standardisierten Ablehnungsschreiben der Verlage nun keinerlei weiterreichende Informationen zu entnehmen wären. Auf den zweiten Blick enthalten sie oft sogar eine ganze Fülle an Information. Über das Tempo zum Beispiel, mit dem in diesen Lektoraten gearbeitet wird. Wenn mir zum Beispiel der Verlag L. eine Absage schickt, in der es unter anderem heißt: –
Bitte haben Sie dafür Verständnis und berücksichtigen Sie, das diese Absage kein Qualitätsurteil beinhaltet.
dann ist dieses Verwechseln von „dass“ und „das“ ein deutliches Indiz für das extreme Tempo, das bei der Arbeit in diesem Verlag herrscht; ein vielsagendes, dass es für sorgfaltsliebende Menschen, wie ich einer bin, über den Verlag beinah ein komplettes Qualitätsurteil beinhaltet.
Weiterhin enthalten diese hektographierten Ablehnungsschreiben natürlich oft auch direkte und indirekte Informationen über die harschen Umstrukturierungen und Monopolisierungstendenzen, denen die Verlagsbranche momentan ausgesetzt ist.
Da kann es einem zum Beispiel auch passieren, dass man von einem Verlag eine Absage erhält, bei dem man sich gar nicht beworben hat. Das irritiert dann zunächst, und umso mehr, wenn es sich bei dem dicken Namen im Briefkopf um den Verlag G. handelt, der traditionell für Groschenromane und Landserheftchen bekannt ist, und mit dem man entsprechend nicht auch nur die selbe Luft zum Atmen hätte teilen wollen. Aber wenigstens hält sich in einem solchen Fall auch die spontan empfundene Enttäuschung über die Absage in Grenzen, und eher verwundert man sich noch über den unverhofften Kontakt zu solcher Sphäre; bis man im Briefkopf dann noch eine ellenlange, und damit sie dort vollständig unterkommen kann, winzig klein gedruckte Liste kleiner und größerer Verlage findet, die sich in der Zwischenzeit alle unter einem gemeinsamen Dach versammelt haben, aus unabweislichen marktökonomischen Gründen vermutlich. Und wenn man dann dort sehr wohl noch die Namen zweier Verlage entdeckt, bei denen man sich beworben hatte, dann steigt erstens der Grad an Enttäuschung doch wieder an, und zweitens löst sich so auch das Rätsel mit dem unerwartet aufgetretenen unappetitlichen Kontakt, indem eben innerhalb dieses Konzerns jetzt der Schundverlag G. zentral und von wegen der sogenannten Synergieeffekte, oder wie so etwas in Unternehmensberatungskreisen heißt, für alle Absagen an Autoren, auch die der Tochterverlage, zuständig ist.
Wie man sich die zum Teil äußerst drastischen Umbrüche vorzustellen hat, denen die Verlagslandschaft zur Zeit unterworfen ist, das geht aus dem Absageschreiben eines weiteren Verlags noch plastischer hervor. Der ehemals renommierte Verlag, übrigens benannt nach einer berühmten Residenz, ist in der Zwischenzeit, wie dem Briefkopf zu entnehmen ist, übersiedelt in ein „Druckhaus“ in einer anderen Stadt, in der es aber auch weiterhin – das war Glück im Unglück! – eine Residenz gibt, wenn auch jetzt eine andere Residenz.
Jedenfalls enthielt die Absage, die mir vom neuen Standort des Verlags zugeschickt wurde, einen grammatikalisch eigenwilligen Satz. Die Lektorin hatte einen Formbrief abgezeichnet, in dem es über mein Buch unter anderem hieß: –
Ich habe es mit großem Interesse gelesen, sehen jedoch momentan keine Möglichkeit für eine Veröffentlichung im Rahmen unseres Programms.
Nun könnte man das wieder als einen gewöhnlichen Flüchtigkeitsfehler abtun. Aber wenn eine Person grammatikalisch wechselt, dann steckt meist mehr dahinter. Und tatsächlich erbrachte mir eine kurze Nachsicht in den älteren Absagen dieses Verlags, wie sie vom ursprünglichen Standort abgeschickt worden waren, die Bestätigung, dass sie damals noch stets im Plural mit großem Interesse gelesen und aber keine Möglichkeit gesehen hatten, bis nun mit dem Umzug des Verlags in die Stadt mit der anderen Residenz offenbar auch das Personal verkleinert worden ist. Und seither muss die arme, mittlerweile ganz singulär gewordene Lektorin nun ganz allein die vielen Manuskripte mit Interesse lesen, und darüber ist sie jetzt noch gar nicht dazu gekommen, den standardisierten Absagebrief durchgängig auf erste Person Einzahl umzustellen.