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Zur WM 2014 in Brasilien -
das Achtelfinale

27. Juni 2014

(Spielfrei)

Ein Stadtbummel

Angekommen in Nürnberg, mache ich einen Stadtbummel in der alten Heimat. Ich bin angenehm überrascht. Von den letzten privatfamiliär motivierten Besuchen vor zwei, vier, sechs, acht Jahren her hatte ich wieder eine flächendeckend schwarzrotgold tapezierte Stadt erwartet. Es gibt zwar beflaggte Autos, Fenstersimse und Balkone. Aber insgesamt hält sich die Verbreitung der burschenschaftlichen Farbkombination doch in Grenzen. Selbst die Schaufensterdekorateure, die sich natürlich beruflich mit dem konsumträchtigen Thema zu befassen hatten, setzen nur selten auf die Nationalbornierheit der Kunden und die drei Farben ein. Eher sind in den Auslagen Portraits der Fußballstars zu sehen, mit einem Schwerpunkt bei den Deutschen natürlich, aber durchaus auch von anderen Nationen. Eher dominiert in den Dekorationen das Grün des Rasens, oder das knallbunte oder raffiniert kleinteilige, schwarzweiß verschachtelte Design der neuen Fußballschuhkreationen, denn das nur immergleiche Schwarzrotgold.

Meine indigenen Gewährsleute sind ebenfalls der Meinung, dass die national gestimmte Dumpfbeuteleuphorie weniger verbreitet ist als bei den letzten fußballerischen Großereignissen. Die Diskussionen im Vorfeld des Turniers hätten vielleicht die Erwartungen gedämpft. Der Nationaltrainer wäre viel kritisiert worden in Hinsicht auf das bestellte Aufgebot und auf die zu erwartende Taktik. An den Spieltagen der Deutschen könne man aber sehr wohl Deutschgegröle in der Stadt vernehmen. Und je weiter die Deutschen noch kommen würden im Turnierverlauf, um desto mehr werde sich das Schwarzrotgold im Stadtbild sicher noch steigern.

Das große Public Viewing an den Spieltagen der Deutschen, erfahre ich, wurde in Nürnberg an den Stadtrand verlegt, auf ein Gelände beim Flughafen. Die U2 sollte ich an diesen Tagen also meiden, wenn ich nicht schwarzrotgold umwickelt und begrölt werden möchte. Beim letzten Spiel der Deutschen gegen die USA war das abgelegene Public Viewing, wie man hört, äußerst schlecht besucht und kommerziell ein Reinfall. Der Grund war: Die U-Bahnen zum Flughafen sind an diesem Tag nicht gefahren. Es gab an diesem Tag einen Streik.

Fast könnte man meinen, Nürnberg hätte aus seiner unseligen Rolle während des Nationalsozialismus gelernt. Erst wurden also die Bekundungen der patriotischen Seinsweise, aus der schon so viel Böses erwachsen ist, an den Stadtrand verbannt, und dann wurden auch noch die Transfers dorthin gestrichen. Wenn man dazu noch weiß, dass es sich da erwiesenermaßen nicht um einen Streik des Fahrpersonals für besseren Lohn oder dergleichen gehandelt haben konnte, musste man nachgerade zu dieser Lesart kommen. Denn auf der Linie U2 fahren schon seit Jahren - und nach einem polemischen Bonmot ist das ebenfalls eine Konsequenz aus der unseligen Nürnberger Vergangenheit - ausschließlich führer-lose Züge.

28. Juni 2014

Brasilien - Chile 3:2 i.E.
Kolumbien - Uruguay 2:0


Mit Sachverstand

Ein Konzert, eine Vernissage, einen Vortrag oder eine sonstige kulturelle Veranstaltung sollte man nicht unbedingt so terminieren, dass es mit dem Beginn der K.o.-Runden einer Fußball-WM zusammenfällt. Denn der Besuch wird dann eher gering ausfallen. Aber bei einem hohen halbrunden Geburtstag des Vaters kann ich als Sohn die 85 trotzdem schon auch mal gerade sein lassen.

Mein fußballerischer Sachverstand bei dem Geburtstagsfest war nicht der einzige. Auch andere Sachverstände saßen dort beim Essen und beim Trinken und Plaudern, und zuweilen fragten sie sich, wie sich Brasilien wohl gerade schlagen würde im Achtelfinale gegen die Chilenen. Im Nebenraum des familiär gecharterten Nebenraums, gerade am Weg zu den Toiletten, hing ein Großbildschirm und zeigte denen, die dort saßen oder kurz vorbei kamen, wie es dort lief. In der 18. Minute war Brasilien in Führung gegangen. In der 32. hatte Chile den Ausgleich geschossen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit, dann nochmals zwanzig Minuten später kam ich auch selbst dort vorbei. Dazwischen war auch mein Schwager und noch ein dritter Sachverstand aus unserem Kreis war mal kurz dort. Weitere, uns nicht familiär verbundene Sachverstände saßen ständig dort, und alle - die, die nur mal kurz einen Blick auf das Spielgeschehen warfen, wie auch die, die dort auf Dauer saßen, konnten wir uns stets gegenseitig versichern - denn bei einigem Sachverstand war bei diesem Spiel kein anderer Schluss möglich: Wir konnten noch in Ruhe fertig essen. Bei diesem Spiel würde es auf jeden Fall eine Verlängerung geben.

Und so kam es dann auch. Die diversen Gänge waren gegessen, für uns Fußballinteressierte wie für die Nichtinteressierten stand eh eine Umgruppierung im Raum, und so entschuldigten wir Sachverstände uns für ein paar Minuten, gingen nach nebenan und sahen uns die entscheidenden Szenen des Spiels an. Auch nach Ende der Verlängerung stand es noch 1:1.

Elfmeterschießen

Die Trainer gehen herum, sprechen mit den Spielern, legen die Schützen fest. Die Masseure bearbeiten noch einmal die verhärteten Wadeln. Der Schiedsrichter wirft eine Münze. Sie entscheidet, welches Team vorlegen darf, welches nachziehen muss. Der kleine Vorteil ist auf Brasiliens Seite.

Ein wenig seltsam ist es, dass der Schiedsrichter immer noch frei entscheidet, auf welches Tor geschossen wird. Heute ist das kein gewichtiges Kriterium, denn hinter beiden Toren sind die brasilianischen Fans deutlich in der Mehrheit. Aber wenn bei einem Pokalspiel die Fans der einen Mannschaft hinter dem einen Tor versammelt sind und die der anderen hinter dem anderen, macht es für den Schützen schon einen psychologischen Unterschied, ob er gegen ein gellendes Pfeifkonzert zu seinem Elfmeter anläuft, oder gegen eine relativ ruhige Anspannung auf der Tribüne, die er mit einem erfolgreichen Abschluss in eine begeisterte Jubelkulisse verwandeln kann. Dass diese Entscheidung immer noch ganz der Willkür des Schiedsrichters anheim gegeben ist, und nicht ausgelost wird wie das Recht des ersten Schusses, ist schon sehr seltsam. Der Referee wird dadurch praktisch gezwungen, einer der Mannschaften einen kleinen Vorteil zu gewähren. Und auf Kleinigkeiten kommt es beim Elfmeterschießen an.

Viele meinen, diese entscheidenden Kleinigkeiten seien so unwägbar, dass es sich bei einer Entscheidung im Elfmeterschießen im Grunde um ein reines Glücksspiel handelt. Eine äußerst konsequente Manifestation dieses Standpunkts hatte ich einst in Afrika miterlebt. Immer wieder einmal, wenn es zu einem Elfmeterschießen kommt, muss ich an das Erlebnis zurück denken.

Banjul, 2008. Mit unseren Gastgebern sind wir beim Pokalhalbfinale im städtischen Stadion. Nach der regulären Spielzeit, auch nach der Verlängerung steht es Unentschieden. Und was passiert? Unsere Freunde stehen auf, alle Leute auf den Tribünen stehen auf. Und sie schicken sich an, zu gehen. Ich bin, gelinde gesagt, irritiert. Und die afrikanischen Freeunde sagen: Das Fußballspiel ist zu Ende. Es wird bald dunkel. Dann kommen die Moskitos. Irgendwie wird jetzt zwar noch durch ein Elfmeterschießen ermittelt, wer ins Finale einziehen darf. Aber das ist wie ein Losentscheid. Das Spiel endete remis. Lass uns nach Hause gehen!

Es gibt wirklich nichts, was es nicht gibt unter den Menschen. Es war der denkbar größte Gegensatz zur fiebrigen Spannung jetzt, in Erwartung des Elfmeterschießens, hier im Raum, oder auch im Stadion in Brasilien. Nach dem Spiel wird bekannt werden, dass die Ärzte während des Elfmeterschießens vier Patienten mit Herzattacken im Stadion hatten behandeln müssen. Unweit des Stadions ist ein weiterer brasilianischer Zuschauer bei einem Public Viewing an seinem Herzinfarkt gestorben. So unterschiedlich kann man dem, was jetzt kommt, entgegen oder eben auch komplett davon absehen. - - -

Es geht los. David Luiz verwandelt sicher zum 1:0 für Brasilien. Pinilla tritt als erster für Chiles an. Sein Schuss wird von Julio Cesar gehalten. Riesiger Jubel im überwiegend brasilianischen Publikum. Es sieht gut aus. Wie es scheint, geht die Heim-WM für das brasilianische Team auch nach dem heutigen Spiel noch weiter. - - -

Ist es nur ein Glücksspiel? Ich denke nicht. Auf der Seite des Schützen gehört vor allem viel mentale Stärke dazu. Über die Torhüter auf der anderen Seite lautet ein Stehsatz, sie könnten im Elfmeterschießen zu Helden werden. Gleichwohl denke ich, dass ihr Beitrag, um zu der Ehre zu kommen, nur selten einmal richtig eingeschätzt wird. Sie müssen sich zum Beispiel bis zu einem gewissen Grad in die Schützen hineinversetzen. Und da gibt es unterschiedliche Typen: -

Es gibt sie, die sicheren Elfmeterschützen. Bei denen kann man als Goalie tatsächlich nichts machen. Dem psychischen Druck begegnen sie, indem sie ein paarmal tief durchatmen. Cool wählen sie sich ein Eck aus, rechts oder links, flach, halbhoch oder im Kreuzeck, und hämmern den Ball so scharf dorthin, dass der Goalie in der Tat keine Chance hat. So treffen sie in mindestens neun von zehn Fällen, und wenn sie mal nicht treffen, schießen sie ans Aluminium oder äußerst knapp vorbei. Es gibt sie fast in jedem Team, diese sicheren Schützen. Aber in keinem gibt es gleich fünf davon. An die anderen muss sich der Torwart halten.

Es ist zum Beispiel sehr bemerkenswert, dass kaum einmal die ausgewiesenen Superstars gleichzeitig auch Elfmeterspezialisten sind. Die Stars sind zu diesem Zeitpunkt in aller Regel schon 120 Minuten auf dem Platz. Ihre Kondition ist, wie die aller Fußballspieler, auf die üblichen 90 Minuten geeicht. Der mentale Druck kommt hinzu, den sich der Schütze selber macht. Der eigene besonders hohe Marktwert, die herausgehobene Position im Team muss, muss, muss unbedingt durch einen verwandelten Elfmeter bestätigt werden. Da kann das hochbezahlte Knie schon mal ins Wackeln kommen. Die Superstars, die im Elfmeterschießen schon gescheitert sind, sind Legion. Robben, Drogba, Beckham - die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Subtil verabreichte psychologische Kniffe des Torwarts können den Druck besonders auch auf diese Schützen manchmal noch entscheidend erhöhen.

Aber meistens steht der Torwart nicht einem coolen Elfmeterspezialisten gegenüber, und auch nicht dem Superstar der anderen Mannschaft, sondern einem gewöhnlichen Schützen. Dieser gewöhnliche Schütze hat normalerweise, besonders wenn er schon zwei schwere Stunden in den Beinen hat, ein bevorzugtes Eck. Die „Listen“ mit den bevorzugten Ecken sind, spätestens seit Kahn dem Lehmann die seine gab, allgemein bekannt und gehören zum kleinen Einmaleins im Torwarttraining.

Aber auch, wenn da einer zum allerersten Mal zum Elfmeter antritt, kann ein guter „Elfmetertöter“ aus der Haltung im Anlauf, aus der Fußstellung und daraus, wie er ihn zuvor im Spiel erlebt hat, in Sekundenbruchteilen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auf das anvisierte Eck schließen. Auch heute zeigt es sich wieder, bei diesem Elfmeterschießen: Beide Keeper fliegen fast jedes Mal ins richtige Eck. Ein reines Glücksspiel ist das offensichtlich nicht. Die Goalies zeigen Können, Intuition, Vorbereitung und Erfahrung.

Der gewöhnliche Schütze wird in der Regel nicht mit Vollspann drauf hämmern. Der gewöhnliche Schütze wird in dieser Extremsituation - konditionell schon angeschlagen, psychisch unter Druck - eher der größeren Zielgenauigkeit des Innenrists vertrauen. Und da kann der Goalie aus der Körperstellung beim Anlauf sehr wohl ablesen, wohin der Ball wahrscheinlich kommen wird. Genau dieses erlaubt es zwar versierten Schützen auch, den Torwart gezielt zu „verladen“. Aber dies ist dann eben auch wieder eine Verkomplizierung des Bewegungsablaufes, die eigentlich nur den Elfmeterspezialisten zur Verfügung steht. Ähnlich verhält es sich mit der noch anspruchsvolleren Variante, im Anlauf kurz zu verlangsamen, um die Reaktion des Torwarts auszuspähen, und darauf noch blitzschnell zu reagieren und den Ball ins andere Eck zu schieben. Für die normalen, durchschnittlichen Elfmeterschützen ist das nach 120 Spielminuten und bei dem immensen psychischen Druck zu kompliziert. Und darum geschieht es, wie gesagt, auch heute so: Beim heutigen Elfermeterschießen werden die Keeper fast immer in das richtige Eck fliegen und gerade nur einmal bei den zehn Schüssen wird ein Keeper erfolgreich „verladen“. - - -

Willian probiert es, den chilenischen Keeper zu „verladen“. Bravo fliegt ins eine Eck, der Ball streicht knapp am anderen vorbei. Verschossen! Die Begeisterung im Stadion weicht purem Entsetzen. Der brasilianische Vorteil ist wieder dahin.

Im Gegenzug tritt der chilenische Star Alexis Sánchez an. Er hält dem Druck nicht stand. Auch der schwach geschossene zweite chilenische Elfmeter wird von Cesar gehalten. Wieder brandet riesiger Jubel auf. Es ist eine Achterbahn der Gefühle.

Als nächster geht Marcelo für Brasilien an den Elfmeterpunkt. Bravo fliegt ins richtige Eck, ist fast noch mit den Fingerspitzen dran, aber Marcelo hat zu scharf und zu präzise geschossen. Es steht 2:0. Auch Aránguiz trifft danach für Chile, obwohl Cesar die richtige Ecke geahnt hat. 2:1.

Hulk tritt nun für Brasilien an. Er ist Brasiliens Star Nummer zwei hinter Neymar. Und er hält dem Druck nicht stand. Bravo kennt sein bevorzugtes Eck und kann den schlecht plazierten Schuss parieren. Wieder ist der brasilianische Vorteil dahin. Man kann vermuten, dass hier nun die Herzattacken passiert sind.

Auf der Gegenseite nützt Díaz die Gelegenheit zum Ausgleich. Es steht 2:2. Jedes Team hat jetzt noch einen Schuss. Wenn es danach immer noch Unentschieden steht, müssen Spieler antreten, die eigentlich nicht antreten wollten.

Oft ist der fünfte Elfmeter der entscheidende. Jetzt ist die Reihe an den Spezialisten. Neymar wählt die anspruchsvolle Variante, verlangsamt kurz den Anlauf, schaut sich die Reaktion von Bravo aus und verwandelt cool ins andere Eck.

Danach tritt Jara für Chile an. Ein scharfer Schuss, vom Schützen aus ins rechte untere Eck. Cesar fliegt wieder ins richtige Eck, kommt aber nicht an den scharf geschossenen Ball. Aber Jara hat zu gut gezielt. Oder eben nicht gut genug. Es ist der eine von zehn Elfern, den er auch einmal verschießt. Vom Innenpfosten knallt der Ball beinahe noch an Cesars Rücken, aber knapp dreht er sich daran vorbei und um den anderen Pfosten ins Seitenaus. Mit viel Glück konnte Brasilien mit einem 3:2 im Elfmeterschießen das erste Achtelfinale für sich entscheiden.

4 Elfmeterschützen

Von vier der brasilianischen Elfmeterschützen habe ich die Sammelkarten. Chilenische dagegen überhaupt noch nicht. Jetzt brauche ich die Chilenen aber auch nicht mehr.

Was ich von Uruguay weiß

Aufgrund seiner Geschichte von den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die heutige Zeit hat das Land Uruguay für Altlinke wie mich schon lange einen besonderen Klang. Ein Spielfilm, ein literarisches Werk und ein Dokumentarfilm haben mir die Geschichte des Landes besonders plastisch nahe gebracht.

In Constantin Costa-Gavras' Spielfilm „Der unsichtbare Aufstand“ aus dem Jahr 1972 zeichnet er eine Geschichte nach, die sich zwei Jahre zuvor in dem Land abgespielt hatte: -

Die Stadtguerillero/as von den Tupamaros haben einen angeblichen US-amerikanischen Entwicklungshelfer entführt. Unerwartet heftige Repressalien deuten darauf hin, dass sie in ein Wespennest gestochen haben. Landesweit gibt es Razzien und Verhaftungen. Oppositionelle werden von der Polizei und vom Militär ermordet. Daniel Mitrione wird in seinem „Volksgefängnis“ von den Tupamaros befragt. In den Verhören können sie ihm nachweisen, dass er in Wirklichkeit ein Experte für Aufstandsbekämpfung ist und dass er das Militär in dem nur scheinbar noch demokratisch verfassten Land in Befragungs-, sprich: Foltertechniken unterrichtet hatte. Als immer mehr Oppositionelle willkürlich verhaftet werden und die demokratische Fassade des Landes komplett in sich zusammen fällt und als die Gefahr immer größer wird, dass die Wohnung mit dem Volksgefangenen entdeckt wird, halten die Tupamaros konspirativ eine Urabstimmung ab. Eine Mehrheit der Mitglieder spricht sich dafür aus, den US-Agenten zu erschießen. Kurze Zeit später wird seine Leiche im Kofferraum eines Autos gefunden. In der letzten Szene des Films kommt ein Nachfolger für Mitrione aus den USA auf dem Flughafen in Montevideo an …

1973 putschte sich das Militär auch offiziell an die Macht. Was folgte, waren zwölf Jahre Militärdiktatur. Über diese Zeit von 1973 bis 1985 dann ein Buch: „Wie Efeu an der Mauer“ von Fernández Huidobro und Mauricio Rosencof. Der zweitere war wie viele andere Tupamaros und andere Oppositionelle für mehr als zehn Jahre als „Geisel des Militärs“ in ständig wechselnden Kasernen und Gefängnissen komplett von der Umwelt abgeschnitten. In einer wunderbar poetischen Sprache, die das Buch auch mit zum Besten macht, was es an Gefängnisliteratur überhaupt gibt, schildern die Autoren den jahrelangen Kampf der Gefangenen gegen die Schikanen der Militärs, für elementare und auch kleinste Zugeständnisse und um ihre Würde und in der feindlichen Umgebung und völligen Isolation den Verstand nicht zu verlieren.

Drittens schließlich, aus der Mitte der 1990-er, ein Dokumentarfilm: In „Tupamaros“ von Heidi Specognia schildern ehemalige Mitglieder die Geschichte der Guerillaorganisation. Und auch, wie es nach dem Ende der Militärdiktatur weiterging: Einer der Mitwirkenden in dem Film, der ehemalige Tupamaro José Mujica ist heute der Präsident des Landes. Zusammen mit seiner Frau, die er durch Kerkerwände hindurch in der „Geiselhaft“ des Militärs kennengelernt hatte, lebt er bescheiden außerhalb von Montevideo von der Rosenzucht. Neunzig Prozent seines Präsidentensalärs spendet er für gemeinnützige Zwecke. Eine Staatslimousine hat er abgelehnt. Er fährt weiter mit dem alten VW-Käfer zum Regieren in die Stadt. Er versucht, eine betont volksnahe und liberale Politik zu machen. So war Uruguay zum Beispiel auch das erste Land auf der Welt, in dem der Cannabiskonsum entkriminalisiert und (unter staatlicher Kontrolle) freigegeben wurde.

Diese Landesgeschichte, vermittelt durch jenen Film, jenes Buch, jenen Dokumentarfilm hatte in mir schon lange den Wunsch geweckt, Uruguay auch einmal zu besuchen, sollte ich mal in die Gegend kommen. Was weiß ich sonst noch über das Land? Nicht sehr viel. Es scheint dort recht unspektakulär zuzugehen. Recht ruhig. Es gibt offenbar nicht viel Aufsehenerregendes. Was natürlich noch ins Auge fällt, ist die große Fußballbegeisterung und -tradition in dem Land. Keinem Land sonst mit so wenigen Einwohnern, gerade einmal halb so vielen wie in Österreich, ist es bisher gelungen, Weltmeister zu werden. Uruguay hat es schon zweimal geschafft. Und es ist auch bei den letzten Weltmeisterschaften immer sehr weit gekommen. Zuletzt in Südafrika waren sie Vierte geworden.

Und doch zeigen sich genau an diesem Punkt nun auch dunkle Flecken. Dass Luis Suárez wegen seines Bisses im Italienspiel zu einer Sperre von neun Spielen auf WM-Ebene und von vier Monaten in sämtlichen Bewerben sowie zu einer Geldstrafe von 100.000 Franken verurteilt wurde, wurde eigentlich fast überall als eine angemessene Sanktion betrachtet, da er bereits zum dritten Mal in dieser Form auffällig geworden war. Nur aus Uruguay kamen jetzt deutlich andere Töne. Der Landesverband hielt in einer offiziellen Stellungnahme, was alle Welt im Fernsehen mitbekommen hatte, nicht für einen eindeutigen Videobeweis. Assistierend flunkerte der Abwehrspieler Lugano, Italiens Chiellini hätte die Bisswunde, die er dem Schiedsrichter gezeigt hatte, auch vor dem Spiel schon gehabt. Nachdem das Urteil ergangen war, ereiferte sich die Sportministerin Uruguays über eine „Lynchjustiz im 21. Jahrhundert“ und pathetisch jammerte sie in die Kameras: „Wir müssen diesem Menschen [Suárez] helfen!“

So verengen selbst dort, in dieser Regierung, die von einem Ex-Tupamaro angeführt wird, schranzig nationalbornierte Scheuklappen den Blick? Es kam noch schlimmer. Auch der Präsident höchstselbst schaltete sich ein. „Die FIFA ist ein Haufen alter Hurensöhne“, geiferte der bescheidene Rosenzüchter im Fernsehen. „Sie können ihn sperren, aber nicht diese faschistische Sanktion aussprechen!“ Das war dann auch noch eine urdumme Verharmlosung eines jeden Faschismus, in der denkbar ordinärsten nationalbolschewistischen Ausprägung. Welch eine Enttäuschung!

Im zweiten Spiel des Abends verlor nun heute Uruguay ohne den gesperrten Suárez im Achtelfinale gegen Kolumbien völlig verdient mit 0:2. Und tschüß!

29. Juni 2014

Niederlande - Mexiko 2:1
Costa Rica - Griechenland 5:3 i.E.



Robben

Arjen Robben spielt weiter das Turnier seines Lebens. Auf der rechten Sturmseite bindet er, indem er den „Robben“ stets auf Lager hat - sein altbekanntes Manöver: schnell nach innen zu ziehen und von der Strafraumgrenze mit seinem knallharten linken Fuß abzuschließen - stets zwei Verteidiger. Auch wenn sie das Manöver schon kennen, ist es schwer, dagegen anzukommen. Er ist blitzschnell, hat ein Gespür für die Lücke, und seine Schusstechnik ist vom Feinsten. Wenn er zum „Robben“ ansetzt, schrillen in jeder Abwehr die Alarmglocken. Sein einer Bewacher versucht dann, ihm zu folgen und eng bei ihm zu bleiben. Der zweite nimmt den direkten Laufweg, um die Lücke zu schließen und den Schuss aufs Tor zu verhindern. Da jede Verteidigung das Manöver jetzt schon kennt, setzt er auch manchmal nur dazu an - und geht dann, wenn die Verteidiger entsprechend reagieren, überraschend rechts vorbei, sprintet an die Grundlinie und schlägt von da mit dem rechten Fuß, oder nach einem weiteren Haken mit dem linken seine brandgefährlichen Flanken.

Überhaupt ist er nicht mehr so eigensinnig wie früher. Zur Zeit findet er immer die richtige Lösung: Lege ich einem Kollegen auf oder suche ich selber den Abschluss? Er arbeitet auch nach hinten mit. Er holt sich von dort die Bälle. Er ist überall auf dem Platz zu finden. Er rennt, und rennt und rennt. Robben hätte das Zeug, zum besten Spieler des Turniers zu werden.

Wer ist sonst noch im Rennen um den inoffiziellen Titel des besten Spielers? Da wäre vor allem der kolumbianische Shooting Star James Rodriguez, den vorher nicht viele auf der Rechnung hatten. Er führt im Moment die Torschützenliste an. Weiters wäre da Neymar, der für Brasilien das Spiel und auch die Tore macht und, was nicht wenig ist: zugleich ein Superstar und ein Elfmeterspezialist ist. Und dann wäre da noch der Deutsche Toni Kroos. Noch bis vor kurzem hätte er wohl kaum zum „Spieler des Turniers“ werden können. Spieler wie Kroos haben selten spektakuläre Aktionen. Aber seit nun die Anzahl der Ballkontakte und der gelungenen wie verhauten Pässe aller Spieler vollelektronisch erfasst werden, steht Kroos mit seinen einsamen Spitzenwerten in diesen Kategorien auf dem Einkaufszettel sämtlicher Spitzenclubs.

Und also Arjen Robben. Aber Robben wird trotzdem nicht zum Spieler des Turniers werden. Seine Fallsucht steht dem im Weg. Robben rennt nicht nur, und rennt und rennt. Er fällt auch ständig, und fällt, und fällt.

Schwalbenkoenig

Machen Sie mal eine typische Handbewegung!

Es ist ärgerlich. Es ist grob unsportlich! Es bringt auch nicht viel, im Endeffekt. Gleich zu Beginn des Spiels produzierte er wieder eine nur wenig überzeugende Schwalbe. Zum Ende der ersten Halbzeit wäre ihm dann sogar, wie die Zeitlupe gezeigt hat, ein Elfmeter zuzusprechen gewesen. Aber wieder fiel er sehr theatralisch, und gerade darum bekam er den Elfmeter nicht! Es ist natürlich vom Schiedsrichter, wenn er schon nicht auf Elfmeter, sondern auf die allgemein bekannte Robbensche Fallsucht entscheidet, inkonsequent, ihm dann nicht auch wegen der Schwalbe noch eine Gelbe Karte zu geben. Aber das zieht sich durch bei diesem Turnier. Ganze Schwärme von Schwalben gab es bei dieser WM schon, und nicht auch nur eine einzige wurde bisher, wie es das Regelwerk vorsieht, mit einer Verwarnung geahndet.

Und darum geht das Gesegel munter so weiter, auch heute, bis ganz zum Ende des Spiels. In der vierten Minute der Nachspielzeit steht es 1:1. Chaotisches Gewusel im mexikanischen Strafraum. Robben wird, die Zeitlupe wird es zeigen, ein Bein gestellt. Wieder reißt er wie von einer Kugel getroffen die Arme in die Luft und steif lässt er sich gegen den nächsten mexikanischen Verteidiger fallen. Und diesmal bekommt er den Elfer. In der letzten Minute der Nachspielzeit!

Man kann sich leicht vorstellen: Das gab viel böses Blut. In der anschließenden Pressekonferenz erinnerte der mexikanische Trainer Herrera wutschäumend daran, wie sich auch schon der Brasilianer Fred gegen Mexiko immer wieder hatte fallen lassen. Fred könnte am ehesten Robben den Titel des besten Schwalbendarstellers bei diesem Turnier noch streitig machen. Er hatte im Eröffnungsspiel gegen Kroatien einen Elfer geschunden und ist seitdem noch oft gefallen und im Grunde nur damit aufgefallen. Elfer hatte er keine weiteren mehr erhalten für seine Sperenzchen, aber eben auch keine Gelben Karten.

Die spielentscheidende Szene heute in der 94. Minute hätte ein guter Anlass sein können für eine Weltpremiere. Der Elfmeter war berechtigt. Das theatralische Fallen Robbens andererseits zielte auf Beeinflussung des Referees ab und war grob unsportlich. Ein mutiger Referee hätte auch beidem Rechnung tragen und erstmals in der Fußballgeschichte sowohl einen berechtigten Strafstoß als auch dem Angreifer wegen unsportlichen Verhaltens eine Gelbe Karte geben können. Wahrscheinlich wären die beiden sich vordergründig widersprechenden Entscheidungen dem Publikum nur schwer zu vermitteln gewesen. Dafür hätte es viel Mut gebraucht. Aber durch das Regelwerk wären beide Sanktionen, denke ich, gedeckt gewesen.

Ein weiterer Trend setzte sich in diesem Spiel fort: Wieder gab es ein „Jokertor“. Bis zum Ende der Vorrunde hatte es schon zwanzig „Jokertore“ gegeben, Tore also von eingewechselten Spielern. Fast ebenso oft wurden darob die „glücklichen Händchen“ der Trainer gelobt. Auch dem holländischen Trainer Van Gaal wurde die Ehre schon einmal in der Vorrunde zuteil und heute wieder. Sein Einwechselspieler Huntelaar verwandelte zwar heute „nur“ den Elfmeter in der 94. Minute. Aber erstens sollte man gerade auch bei einem spielentscheidenden Elfer in der Nachspielzeit die frischen Kräfte eines Einwechselspielers nicht zu gering schätzen. Und zweitens hatte Huntelaar zudem auch schon Snejder zum späten 1:1-Ausgleich in der 88. Spielminute die Vorlage gegeben. So war es also doch wieder Van Gaals glückliches Händchen?

Die vielen glücklichen Hände bei der WM scheinen sich aber doch auch gegenseitig ein wenig zu relativieren. Es war oft heiß, und drückend schwül. Die Spiele hatten meist eine hohe Intensität. Es wird viel gelaufen im modernen Fußball. Wer da nun von Anfang an über den Platz gerannt war und nicht sich von der 80. Minute an mit Wadenkrämpfen zu plagen hatte, stand jedenfalls doch kurz davor. Da ist es dann relativ leicht für Spieler, die später hinzu kommen, auf dem Feld zu glänzen. Entsprechend gab es viele „Jokertore“. Ich bin überzeugt, bei der WM in Katar wird sich der Trend noch verstärken. Wenn die Spieler in der Wüste bei fünfzig Grad im Schatten ihre Kilometer abspulen, und es fällt vielleicht auch noch die Rasenklimaanlage aus, wird's, da bin ich mir sicher, noch mehr erzielte „Jokertore“ geben, und viele Trainerhändchen werden sich allein schon dadurch als glückliche wie auch fürsorgliche erweisen können, dass sie die dehydrierten gegen noch undehydrierte Spieler austauschen.

Einen dritten Trend schließlich, der sich in diesem Spiel fortgesetzt hat, kann man auch ganz ohne alles Hinterfragen schlicht und einfach konstatieren und man kann ihn nur gut heißen: Wieder wurde ein Spiel „umgedreht“. Es war wieder hochdramatisch. Seit der 48. Minute war Mexiko in Führung gelegen. In der 88. Minute verlängerte Huntelaar per Kopf und gab Snejder die Vorlage zum 1:1. In der 4. Minute der Nachspielzeit schnappte er sich, noch frisch, energisch den Ball und schritt zum berechtigten, wenn auch durch Robbens Fallsucht mit einem unangenehmen Geruch behafteten Elfmeter, verwandelte ihn knallhart und staubtrocken zum 2:1, und schickte damit das mexikanische Team mit dem Goalie Ochoa, der bis dahin die Holländer mit unglaublichen Paraden schier zur Verzweiflung getrieben hatte, doch noch nach Hause.

Wenn Griechen gegen Griechen griechen

Costa Rica ist das Überraschungsteam dieser WM. Wie haben sie es geschafft, in der „Todesgruppe“ nicht nur zu bestehen, sondern als Gruppensieger aufzusteigen? Mit einem überraschend offensiven 4-4-2. Abwehr und Mittelfeld rückten weit auf und machten bei gegnerischem Ballbesitz die Räume eng. Die No-names hatten es auch konditionell und läuferisch immer bis zur letzten Minute drauf. (Das nicht ungewohnte Klima kam ihnen wohl auch entgegen.) Sobald sie selbst in Ballbesitz kamen, spielten sie über den Kapitän Ruiz und die zwei Sturmspitzen überfallartig nach vorne, unbekümmert und vom Außenseitermotto beseelt: „Wir haben nichts zu verlieren“. Sie haben damit zuerst Uruguay überrascht und dann auch noch gegen Italien gewonnen. Und damit waren sie schon fürs Achtelfinale qualifiziert.

Das dritte Gruppenspiel, in dem es also um nichts mehr ging, denn auch der Gegner England konnte sich nur noch mit Anstand aus dem Turnier verabschieden, hatte der Trainer Jorge Luis Pinto dazu genutzt, um sein Team unter brasilianischen Bedingungen auf die zuvor besprochene Phase Zwei umzustellen: Ab jetzt würde es nur noch eine einzige Sturmspitze geben. 4-5-1. Ab jetzt wird gemauert! Der Test unter Turnierbedingungen war ebenfalls erfolgreich. Er endete mit 0:0.

Gegen welchen Achtelfinalgegner wäre die ausgeprägt defensive Taktik nun wohl passender gewesen als ausgerechnet gegen die Griechen? 2004 hatten sie mit Rehhagels Mauertaktik überraschend die Europameisterschaft gewonnen. Noch nie hatten dazu so wenige Torerfolge gereicht. Die Spielweise war unattraktiv, aber effektiv. Bis heute spielen die Griechen so. Sie hatten sich wieder mit sehr wenigen Toren zur Endrunde qualifizieren können. Und die Gruppenphase hatten sie mit gerade einmal zwei erzielten Toren überstanden. Gegen jeden anderen Gegner wären die Griechen - zum ersten Mal überhaupt eingezogen in die K.o.-Runden bei einer WM - Außenseiter gewesen und hätten sie wieder in bewährter Weise „aus einer verstärkten Abwehr heraus“ agiert. Nun aber würden sie sich einem noch größeren Außenseiter und ebenso strikt defensiv eingestellten Gegner gegenüber sehen. Das Spiel konnte ja heiter werden!

Es wurde dann aber doch sehr attraktiv. Der griechische Trainer Santos wollte nun seinerseits offenbar die „Ticos“ überraschen und stellte sein Team mit einem für griechische Verhältnisse sensationell offensiven 4-3-3 auf. Und die Griechen bliesen von der ersten Minute an zum Angriff.

Die Ticos reagierten griechisch. Sie machten die Räume eng und stellten die gegnerischen Stürmer immer wieder ins Abseits. Trotzdem kamen die Griechen zu zahlreichen Chancen. Aber dann war da immer auch noch der famose Goalie Navas. Ein ums andere Mal glänzte er mit seinen Paraden und fügte dem Bewerbungsvideo von der WM - er ist bekanntlich ohne Verein - so viele Glanzstücke hinzu, dass es sich bald schon auf ein abendfüllendes Format ausgewachsen haben dürfte. Die Griechen rannten also an, die Ticos mauerten, und wenn sich immer mal wieder eine Lücke in der Mauer auftat, dann war hinter dieser Lücke ganz sicher immer Navas. So endete die erste Halbzeit, wie es zu erwarten gewesen war, torlos mit 0:0. Es war durchaus ein 0:0 der ansehnlicheren Sorte.

Auch in der zweiten Halbzeit spielten die Ticos griechisch, und in der 52. Minute erreichten sie dabei noch ein neues Niveau: Nach einem der seltenen Vorstöße in die gegnerische Spielhälfte gelang Ruiz das überraschende 1:0 für Costa Rica. Die Griechen schienen davon nicht geschockt zu sein, unverdrossen rannten sie weiter an gegen die griechisch anmutende Festung. Zwei Minuten nach dem Tor flog Duarte wegen wiederholten Foulspiels vom Platz. Fortan spielten die Griechen in Überzahl. Aber wohl selten hat sich dadurch weniger in einem Spiel geändert. Der costariquenische Trainerfuchs Pinto beorderte einfach die Sturmspitze zurück ins Mittelfeld, verzichtete mit der Führung im Rücken (ganz nach griechischer Art) auf alle weiteren eigenen Vorstöße und stellte schlicht um vom 4-5-1 auf ein 4-5-0. Und so ging das Spiel einfach weiter wie bisher. Immer wieder gab es griechische Chancen. Und das Bewerbungsvideo des stellungssuchenden Keepers auf der Gegenseite - es wurde immer länger. Ganz auf die griechische schaffte es Costa Rica tatsächlich, das 1:0 über die neunzig Minuten zu bringen.

In der ersten Minute der Nachspielzeit allerdings gelang Sokratis dann doch noch der Ausgleich. Es würde noch eine Verlängerung geben. Es würde wieder spät werden heute nacht. Hatte das jetzt wirklich noch sein müssen?

Die Verlängerung ist schnell erzählt. Die Griechen rannten an. Bis zum Ende der Verlängerung waren sie sechsundsechzig Minuten in Überzahl gewesen. Insgesamt hatten sie 24-mal aufs Tor geschossen. Gefühlte 18-mal konnte sich Navas dabei mit guten und sehr guten Paraden auszeichnen. Costa Rica hatte weiterhin griechisch gespielt und während der hundertzwanzig Minuten insgesamt nur sechsmal aufs Tor geschossen. Gefallen ist keines mehr. Die Nacht würde noch länger werden. Es gab auch noch ein Elfmeterschießen.

Das vielzitierte „Momentum“, jener kleine psychische Rückenwind für die Elfmeterschützen, wenn es jetzt darum ging, sich nach den aufreibenden zwei Stunden noch einmal für einen einzigen Schuss zusammen zu nehmen und die letzten körperlichen Reserven zu mobilisieren - nach dem Ausgleich in der allerletzten Minute der regulären Spielzeit dürfte es sich auf Seiten der Griechen befunden haben. Mit dem Abpfiff der Verlängerung sollte es eher wieder auf die Seite Costa Ricas gewandert sein. Denn über die gesamten hundertzwanzig Spielminuten hinweg ist das griechisch inspirierte Konzept Costa Ricas noch um ein Gran besser aufgegangen als das Konzept der Griechen.

Aber Momentum hin oder her - die mentale Ausgangslage war für die Schützen beider Seiten heute eine ganz andere als bei dem gestrigen Elfmeterschießen zwischen Brasilien und Chile. Natürlich stehen sie immer unter Druck. Aber sowohl Costa Rica als auch Griechenland hatten bei dieser WM schon mehr erreicht als je zuvor in der WM-Historie. Ob sie als Sieger oder Verlierer aus dem Elfmeterschießen gehen würden - in jedem Fall würden sie in der Heimat gefeiert werden. Die Schützen beider Teams mussten sich und uns nichts mehr beweisen.

Und so wackelten die Knie dann auch nicht so wie beim Elfmeterschießen gestern. Alle Schützen verwandelten sicher. 1:0. 1:1. 2:1. 2:2. 3:2. 3:3. 4:3.

Auch der vierte griechische Schütze Theafanis Gekas schoss nicht schlecht. Aber der Held des Abends, der Torwart Keylor Navas, er hielt. Es hatte so kommen müssen. Es war das Spiel seines Lebens. Die Szene hatte in seinem Bewerbungsvideo noch gefehlt.

Und auch der letzte Schütze Costa Ricas, auch Umana verwandelte mit der gleichen Coolness und Sicherheit wie seine Kollegen zuvor. Mit griechischen Mitteln hat Costa Rica heute die Griechen geschlagen.

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